Dienstag, 7. März 2017

Auf dem Weg zum Hauptquartier

German-Foreign-Policy Newsletter vom 07.03.2017
- Auf dem Weg zum Hauptquartier (EU erhält militärische Kommandozentrale)


07.03.2017
BERLIN/BRÜSSEL
(Eigener Bericht) - Die EU erhält für Operationen ihrer Truppen im Ausland eine militärische Kommandozentrale. Das haben die EU-Außen- und -Verteidigungsmininister am gestrigen Montag beschlossen. Demnach wird eine "Militärische Planungs- und Führungszentrale" in Brüssel aufgebaut, die im ersten Schritt die Ausbildungseinsätze der EU leiten soll. Bereits jetzt ist im Gespräch, die Aktivitäten der Kommandozentrale auszuweiten. Zwar wird die Bezeichnung "Hauptquartier" offiziell strikt vermieden, weil mehrere EU-Staaten sich dagegen verwahren, in Konkurrenz zur NATO zu geraten; doch urteilen Beobachter trocken, die Einrichtung der Zentrale laufe faktisch auf die Gründung eines militärischen Hauptquartiers hinaus. Berlin, das schon seit Jahren ein solches Hauptquartier fordert, treibt unterdessen die Verflechtung der europäischen Streitkräfte voran; zugleich fordert Österreichs Außenminister die Aufstellung einer schnellen EU-Krisenreaktionstruppe. Zudem hält die Debatte über europäische Nuklearstreitkräfte an. Erstmals warnt ein Experte, die Militarisierung der EU könne in eine Sackgasse führen: Durch Verflechtung der Streitkräfte entstünden Abhängigkeiten, die faktisch einzelnen EU-Staaten die Vetomacht über EU-Militärinterventionen gebe. Ausweg sei nur eine gewaltige Aufrüstung der Bundeswehr.
Die neue Kommandozentrale
Die neue Kommandozentrale, deren Einrichtung die EU-Außen- und -Verteidigungsminister am gestrigen Montag beschlossen haben, wird offiziell den sperrigen Namen "Militärische Planungs- und Führungsfähigkeit" ("Military Planning and Conduct Capability", MPCC) tragen. Sie wird beim EU-Militärstab angesiedelt und zunächst über rund 35 Mitarbeiter verfügen; geleitet wird sie vom Direktor des bereits bestehenden EU-Militärstabs. Politisch untersteht sie der Kontrolle des "Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees" ("Political and Security Committee", PSC) in Brüssel, dem die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten angehören. Die Kommandozentrale soll im ersten Schritt die EU-Ausbildungseinsätze steuern, die derzeit in Somalia, der Zentralafrikanischen Republik und Mali durchgeführt werden. Bereits jetzt ist allerdings eine Ausweitung ihres Zuständigkeitsbereichs im Gespräch; genannt werden die Marineeinsätze im Mittelmeer und am Horn von Afrika.[1] Zwar wird der Begriff "Hauptquartier" offiziell strikt vermieden, weil mehrere EU-Staaten großen Wert darauf legen, nicht in Konkurrenz zur NATO zu geraten. Doch urteilen Beobachter, in der Praxis laufe die Tätigkeit des MPCC klar auf die Übernahme klassischer Hauptquartier-Funktionen hinaus.
Von Berlin gefordert
Den Beschluss, die Kommandozentrale einzurichten, kann die Bundesregierung als klaren Erfolg verbuchen. Berlin setzt sich schon lange für den Aufbau eines EU-Hauptquartiers ein, das für eine eigenständig operierende EU-Streitmacht als unverzichtbar gilt. Bereits Ende 2004 war es Berlin gelungen, eine Einigung mit Paris und London über die Installierung einer zivil-militärischen Planungszelle in Brüssel zu erzielen, aus der ein "Operationszentrum" zur Steuerung von EU-Einsätzen entstehen sollte [2]; dazu ist es aber in der Praxis nicht gekommen. Hintergrund war bereits damals das Bestreben mehrerer EU-Staaten, keine Gegenmacht gegen die NATO entstehen zu lassen. Berlin hat das Vorhaben vor geraumer Zeit wieder aufgenommen. So hieß es etwa in einem Positionspapier der Arbeitsgruppe Sicherheits- und Verteidigungspolitik der SPD-Bundestagsfraktion vom November 2014, man plädiere für "die Einrichtung eines ständigen militärischen Hauptquartiers der EU mit allen Führungsgrundgebieten", da dies "die ständige Einsatzbereitschaft", aber auch "die zentrale Planung und Durchführung der Einsätze" begünstige.[3] Die Forderung ist im vergangenen Sommer über eine deutsch-französische Offensive zwecks stärkerer Militarisierung der EU erneut vorgetragen worden (german-foreign-policy.com berichtete [4]).
Eine Krisenreaktionstruppe
Der Beschluss zum Aufbau einer militärischen EU-Kommandozentrale erfolgt in einer Phase des beschleunigten Ausbaus der gesamten EU-Militärpolitik. Erst kürzlich hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Kooperationsvereinbarungen mit ihren Amtskollegen aus der Tschechischen Republik und Rumänien unterzeichnet, denen zufolge die Streitkräfte der beiden EU-Verbündeten jeweils eine Brigade in eine Division der Bundeswehr integrieren sollen. Bereits jetzt sind rund zwei Drittel der niederländischen Heeresverbände in deutsche Einheiten eingebunden; der Ausbau der Marinekooperation mit Norwegen wird energisch vorangetrieben.[5] Die Streitkräftekooperation wird in der Öffentlichkeit als Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO präsentiert; in der Praxis kann die Kooperation im Rahmen des transatlantischen Kriegsbündnisses, aber ebenso im Rahmen der EU vollzogen werden. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz schlägt nun ergänzend vor, die EU-Battlegroups, die bislang noch nie eingesetzt wurden, in eine "schnelle EU-Krisenreaktionstruppe" zu transformieren; diese solle "im Katastrophenfall", aber auch zur Flüchtlingsabwehr sowie vor allem in Staaten außerhalb der EU intervenieren können.[6]
Die Bevölkerung mitnehmen
Gleichzeitig hält die Debatte um den Aufbau gemeinsamer europäischer Nuklearstreitkräfte an.[7] Nach diversen Beiträgen in deutschen Leitmedien äußern sich nun auch Regierungsberater in dem Fachblatt "Internationale Politik", der führenden Zeitschrift der deutschen Außenpolitik. "Die laufende Debatte um die Rolle von Nuklearwaffen auf Seiten Russlands und der NATO erlaubt es nicht mehr, sich einer Debatte über das Für und Wider nuklearer Abschreckung zu verschließen", heißt es in dem Blatt: Dafür seien "die mit diesen Waffen verbundenen Risiken schlicht zu hoch". Berlin solle "im Sinne des deutschen Doppelansatzes von Abschreckung und Dialog", heißt es weiter, "eine angemessene Abschreckung mit einer realistischen Rüstungskontrolle flankieren".[8] Was die geforderte "angemessene Abschreckung" im nuklearen Bereich konkret sein soll, erläutern die Autoren nicht. Allerdings weisen sie darauf hin, dass "die sicherheitspolitischen Ambitionen der Regierung" ganz allgemein "nur geringen Rückhalt in der Bevölkerung" haben. Dabei sei für eine erfolgreiche Außen- und Militärpolitik "die Unterstützung durch die Bevölkerung wichtig". Daher müsse die Bundesregierung ihre "Ambitionen" "erklären und dafür werben". Man müsse, heißt es, "die Bevölkerung mitnehmen".
Vorsicht, Vetomacht!
Während Berlin die Militarisierung der EU entschlossen vorantreibt, warnt erstmals ein Experte offen, dies könne machtpolitisch in eine Sackgasse führen. Zwar sei es sinnvoll, sich auch militärisch eng zusammenzuschließen, um die Kräfte zu bündeln, erklärt Yascha Mounk, ein Mitarbeiter der Transatlantic Academy, in einem aktuellen Papier. Doch müsse berücksichtigt werden, dass dabei auch folgenreiche Abhängigkeiten entstünden: Wenn jeder EU-Mitgliedstaat einen unverzichtbaren Beitrag zu den europäischen Streitkräften leiste, "dann genießt jedes Land faktisch Vetomacht". Letztlich könne dies "die Fähigkeiten aller europäischen Mächte neutralisieren"; "eins plus eins plus eins plus eins" liefen "das Risiko, sich zu null zu addieren".[9] Das bedeute keineswegs, dass Deutschland sich nun aus der EU-Militärkooperation zurückziehen solle, betont Mounk: "Doch während die Fähigkeit zur Zusammenarbeit gut ist, muss das Land die Kapazitäten aufbauen, bei Bedarf auch eigenständig zu kämpfen." Entsprechend solle Deutschland "schnell und radikal seine Militärausgaben erhöhen - mit dem Ziel, seine Verteidigungskapazität signifikant zu stärken".

[1] Michael Stabenow: Bausteine der Verteidigung. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.03.2017.
[2] S. dazu Operationszentrum.
[3] S. dazu Treibende Kraft für die EU-Armee.
[4] S. dazu Strategische Autonomie.
[5] S. dazu Unter deutschem Kommando.
[6] Doskozil: "Österreich wird kein Teil einer EU-Armee sein". diepresse.com 06.03.2017.
[7] S. dazu Griff nach der Bombe und Auf Augenhöhe (II).
[8] Claudia Major, Christian Mölling: Was genau heißt "neue Verantwortung"? In: Internationale Politik März/April 2017. S. 89-97.
[9] Yascha Mounk: Wake Up, Berlin! To Save The Transatlantic Alliance, German Foreign Policy Needs to Change Radically. Transatlantic Academy Paper Series, No. 4/2017.
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59554

Gruß Thomas

Dass auch wir die dt. Bundesregierung auffordern müssen aus allen Militärbündnissen, von der NATO bishin zu denen die im EU-Vertrag von Lissabon festgeschrieben sind, auszutreten bzw. diese aufzukündigen haben, sollte unstrittig sein.

Ebenso wie die Forderung nach Umwandlung der Bundeswehr in einen zivilen Katastrophen- und Hilfsdienst ohne Waffen.

Und in Syrien wie anderswo das Entstehen entmilitarisierter Zonen, nach dem willen der Bevölkerung aus den Mitteln des deutschen Militäretats zu fördern.

Diese Forderungen sollte keinen Ostermarsch-Flyer "sprengen" können. Das ist unerlässlich angesichts der Absichten der EU wie der, neben der NATO bereits eine eigene militärische Kommandozentrale aufzubauen und die Rüstungsausgaben "schnell und radikal" erhöhen zu wollen.
 
 

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