Donnerstag, 23. März 2017

Hier Martin Luther - da die Poesie - dort die Trump-Macht

Lettre International Nr. 116 / Neue Ausgabe
SPRACHLABORATORIEN
Es gab einen römisch-deutschen Kaiser, aber weder eine einheitliche Sprache noch ein vereintes Reich, vielmehr freie Reichsstädte und etwa 300 eigenständige Territorien. Die Lingua Franca der politischen und religiösen Elite war Latein. Alle anderen bedienten sich regionaler Dialekte, bis Martin Luther begann, aus dieser Vielfalt eine gemeinsame deutsche Sprache zu destillieren. Waren seine Thesen gegen den Ablaßhandel 1517 noch in Latein verfaßt, so begann er 1518 mit seinem Sermon von Ablaß und Gnade auf deutsch zu schreiben. Seine Übersetzung der Bibel versuchte, diese mittels klarer und kurzer Sätze – in der Theologie bis dahin unbekannt – jedermann nahezubringen. Zwischen 1518 und 1519 war Luther Europas meistpublizierter Autor mit 25 lateinischen und zwanzig deutschen Schriften, die gezählte 291 Auflagen erlebten. Wie der Reformator die Heilsbotschaft in Volkes Sprache unter die Leute bringen wollte, dabei das Register der deutschen Sprache neu erfand und so den Weg zum Neuhochdeutschen ebnete, erzählt Raoul Schrott in Martin Luther.

Poesie war Paul Celan eine „Flaschenpost, angespült am Herzland“, Adam Zagajewski eine „Mystik für Anfänger“, Friedrich Hölderlin empfand: „Allda bin ich alles miteinander.“ Brauchen wir noch Gedichte im digitalen Zeitalter? lautete die Preisfrage des diesjährigen Essay-Wettbewerbs der Klaus und Renate Heinrich-Stiftung. Dorothea Francks preisgekrönte Antwort ist ein Lobgesang auf die Poesie: über die Intelligenz der Sinne, die Alchemie von Klang und Vokabular, über Labyrinthe des Satzbaus, Entgrenzung, Sinneslust und die Rehabilitierung der Subjektivität. „Vor dem Sog der Zerstreuung und dem Nihilismus der Beliebigkeit bewahrt uns kein philosophisches System, was uns hilft, sind Momente innerer Sammlung und eine Verankerung im nicht manipulierbaren Kern des Subjektiven. … Die Lyrik zeigt, daß dies nicht in die Isolation, sondern zu vertiefter Kommunikation führen kann.“ Könnte es sein, daß nach dem linguistic turn im Denken des 20. Jahrhunderts jetzt ein poetic turn angesagt wäre?
DER PRÄSIDENT – VERSUCHUNGEN DER MACHTNach der Amtseinführung Donald Trumps regt sich vielfältiger Widerstand aus politischen Institutionen gegen den neuen Regenten. Teile der Nachrichtendienste widersetzen sich dem neuen Regime, Bürokraten aus dem Inneren des Staatsapparats unterminieren die postfaktischen Behauptungen der neuen Machthaber. Doch Trumps Regierungsstil wird durchgesetzt und althergebrachte Normen der Politik werden als antiquierte Ausreden zum Schutz einer selbsternannten Elite denunziert. Könnte es zum Modus operandi seines Teams gehören, einen Streit mit der Institution der Justiz zu inszenieren, um dieser die Schuld für künftige Terroranschläge in die Schuhe schieben zu können? Wird Trump eine kommende Krise als entscheidendes Sprungbrett nutzen? „Je tiefer seine Beliebtheitszahlen sinken, je grotesker seine Lügen werden, je größer der Widerstand in den Reihen der Bürokraten, je dicker das Geflecht aus Skandalen und Chaos, desto höher die Wahrscheinlichkeit, daß er sich – eine Krise und all ihre Gelegenheiten nutzend – aus der Haltung des Verteidigers zu einer Position überragender Macht aufschwingt.“ Mark Danner fragt: Was könnte er tun? Über die Versuchungen der Macht und die Virtuosität des Opportunismus.

 

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