Freitag, 28. Mai 2010

Exkurs über die neuen Alten

Die chemische Industrie macht unser täglich Brot so haltbar, dass es auch noch einen Monat später verzehrfähig ist.
Sie scheint auch das Menschenleben enorm zu verlängern, denn künftigen Gengerationen wird bereits jetzt ein Lebensalter von 100 Jahren vorhergesagt.
Meine 80jährige Verwandte aus England, die über Pfingsten zu Besuch war, witzelte charmant, intelligent und selbstironisch: "They are recycling me" und meinte die moderne Medizin.
Und über ihren möglichen Status als medizinisches Versuchskaninchen: "They are using me like a guinea pig".
Hab' ich nicht gesagt, aber kann man so sagen.
Sie hatte einen umfangreichen Medikamentenkoffer dabei, den sie regelmäßig benutzte, beängstigend schnaufende Atemnot, konnte sehr sehr schlecht laufen, betonte aber stets ihre Unabhängigkeit.
Auf den Hinweis, ihr Koffer sei doch viel zu schwer, kam nur: "Ich muss ihn doch nicht tragen."
Auf "Du kannst nicht mehr allein reisen" die Antwort: "Wozu ist denn das Service-Personal da, die erhalten ihren Job durch mich".
Diese neuen Alten sehen sich selbstbewusst als potente Konsumenten, die Tourismusindustrie hat sie natürlich auch bereits als lukrative Zielgruppe entdeckt ("Best Agers") und mir scheint bei den Fällen, die ich in meinem direkten Umfeld erlebe, dass es ihnen an jeglicher (falscher?)Bescheidenheit mangelt.
Ich und weitere betroffene Gastgeber fielen jedenfalls erschöpft aufs Sofa, als sie endlich wieder abgereist war.
Wir sind erledigt, fertig, Ticktack-Oma und -Opa gehören der Vergangenheit an.
Der nicht mehr recycelbare Rest wird in den Altenheimen ruhiggestellt.

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