Dienstag, 23. August 2011

Moralisches Verhalten erfordert bewusstes Denken

immer wieder mal gibt es magische momente in meinem leben. einer davon ereignete sich auf dem campus der universität von washington in seattle, den ich vor rund zehn jahren kurz vor weihnachten überquerte, auf eine in warmem licht strahlende geöffnete hörsaal-tür zu, die mich regelrecht ansaugte, und an der angeschrieben stand:  vorlesung antonio damasio "the feeling of what happens" (als deutscher Buchtitel: Ich fühle, also bin ich).
ich ließ mich zwischen einer kleinen bunten schar zuhörern aller altersgruppen nieder, und obwohl mein englisch stark limitiert ist, verstand ich jedes wort.
was der gut aussehende, entspannte professor damasio aus kalifornien, mit elegantem weißen schal über den schultern, dort über die rolle der gefühle erzählte, die sich auf dauer nicht betrügen lassen vom verstandesdenken, hat mich sehr beeinflusst.
jetzt hat damasio sein werk nochmal populär neu zusammengefasst. auf deutsch ist es im Siedler-Verlag erschienen und heißt "Selbst ist der Mensch" - körper, geist und die entstehung des menschlichen bewusstseins.
dabei versteht es der führende neuro-wissenschaftler, in prägnanten metaphern darzustellen, wie der unbewusste teil des geistes den riesigen fels darstellt, der bewusste hingegen nur eine kleine aufmontierte antenne, was mich an ein bekanntes tusche-bild weiblicher fruchtbarkeitsgöttinen-"antennen" von miró erinnert. auf einmal versteht man, was joseph beuys meinte, als er behauptete, er denke mit dem knie.
so elegant wie damasio aussieht, so formuliert er auch: "Das Selbst fokussiert den Geistesprozess, durchtränkt das Abenteuer, anderen Objekten und Ereignissen zu begegnen, mit einer Motivation, und infiltriert den Drang, die Welt zu erkunden, mit der größten und wichtigsten Sorge, die ein Organismus haben muss: der erfolgreichen Lebenssteuerung."
solche sätze klingen ganz anders als etwa die des ebenfalls sehr bekannten deutschen neurowissenschaftlers gerhard roth, den ich mal im hannoverschen kaiser-wilhelm-rats-gymnasium erlebte, der die gehirn-funktionen sehr irreversibel biologistisch beschreibt.
damasio hingegen sieht diese vorgänge viel lockerer. und ihm geben dabei die alten indischen weisheitsbücher recht: dass die reflexion von kenntnissen zu neuen entscheidungen führen kann.
oder - wie sagte auch der freiburger philosoph martin heidegger: denken heißt, über das be-denk-liche nach-zu-denken.
genau das hingegen tun nach wie vor viel, viel zu wenig leute.
Ingeburg Peters


Keine Kommentare: