Montag, 1. Oktober 2018

„Nicht bange und nicht bitter werden, keine Furcht und keinen Hass“



Erinnerungskultur

Die extreme Rechte ist wieder auf dem Vormarsch.Deshalb hier eine von mir zusammengestellte Familiengeschichte über Zivilcourage aus einem Buch, das ich auf der Straße fand - von der Familienforschung Niedersachsen aussortiert

Der Name war Programm. Die Menschings in Bückeburg zeigten Widerstand und Zivilcourage im Nationalsozialismus.
Hier streiche ich besonders die Pastorentochter Anna Mensching heraus, die ähnlich wie die Ehefrau von Albert Schweitzer in den Würdigungen zu kurz kommt.
Ihr Ehemann Wilhelm erhielt posthum 2001 die höchste Auszeichnung, die Israel an Nichtjuden vergibt: „Gerechter unter den Völkern“. Aber leider wurde nur sein Name auf der Memorial-Wall im „Garten der Gerechten“ in Yad Vashem verewigt.
Die beiden wuchsen in unmittelbarer Nachbarschaft in dem kleinen schaumburg-lippischen Dorf Lauenhagen auf. Sie verlobten sich 1912 und 1913  fand im heutigen Ruanda ihre Hochzeit statt, wohin sie in eine Missionarsstelle gegangen waren. Anna und WilhelmMensching beobachteten mit wachsenden Befremden den rassischen, nationalen und kirchlichen Hochmut mancher Missionare. Diese Erfahrungen prägten fortan ihr Handeln.
Im Ersten Weltkrieg wurden die beiden dort 1916 verhaftet und 4 Jahre lang interniert. Nachdem die mit Zwillingen hochschwangere Anna von belgischen Soldaten getreten worden war, behielt ihr Sohn Otto lebenslange gesundheitliche Schäden zurück. Außerdem wurde sie zwei Jahre lang von ihrem Mann getrennt. Durch die Begegnung mit der Gandhi-Bewegung konnten sie durchhalten.
Erst zwei Jahre nach Kriegsende kehrten sie mit der inzwischen geborenen Tochter Johanna nach Deutschland zurück. Wilhelm übernahm die Pfarrstelle in Bückeburg-Petzen, 1922 kam der dritte Sohn zur Welt.
Kirche, Gemeindehaus und Pfarrwohnung wurden nun zum Mittelpunkt umfangreicher Friedensaktivitäten. Kontakte zu den Quäkern, jenen Christen, die religiöse Strukturen für sich ablehnen und stattdessen das Schwergewicht auf das soziale Engagement legten, kamen hinzu. Mensching schrieb in sein Gästebuch: „Ein International House ist mehr wert als 100 Friedenskonferenzen.“, was in der Garnisonsstadt Bückeburg gar nicht gut ankam.
Aber Dreiviertel Gemeindeglieder widersprachen den Beschwerden aus Militärkreisen. Als die Nazis sie ab 1933 drangsalierten, blieben die Menschings distanziert. Anna: „Ich kann nicht für Hitler stimmen“, bat im Wahllokal um einen anderen Stimmzettel, denn ihrer war gekennzeichnet. Dann traten sie und Wilhelm ans Fenster und gaben den Zettel mit einem deutlichen „Nein“ versehen ab.
Anna kaufte weiter in jüdischen Kaufhäusern ein. Wilhelm predigte von der Kanzel, nicht zu schweigen. Die Gestapo konnte ihn nicht verhaften, weil ein großer Teil der Gemeinde sich schützend vor ihn stellte.
Der Kriegsausbruch 1939 traf die pazifistische Pastorenfamilie wie ein Schock, 1944 kam der jüngste Sohn an der Ostfront ums Leben.
Mit heimlichen Flugblättern aus dem Quäkerverlag sollten bis 1942 Verfolgte vor dem Selbstmord bewahrt werden. Der Leiter kam aber ins Konzentrationslager, nachdem ein Rosegger-Zitat von der Gestapo entdeckt wurde: „Die für das Vaterland sterben, ehren wir am besten, wenn wir für das Vaterland leben! Wenn wir mehr für das Vaterland leben würden, wäre es vielleicht seltener notwendig, fürs Vaterland zu sterben.“
Menschings ließen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen, und auch die Berlinerin jüdischen Glaubens Ruth Lilienthal bei sich unterschlüpfen. Lilienthal schrieb über die Ehrungen: „In Wahrheit gebühren sie der ganzen Familie. Anna und Tochter, die mich so liebevoll pflegten, waren mir damals am nächsten.“
Unschuldig verfolgte Menschen zu unterstützen war christliches Gebot für die Menschings. In den Nachkriegsjahren 1948 gründeten sie die erste Friedensschule der Bundesrepublik Deutschland. Juden und ehemalige Nationalsozialisten, Farbige und Weiße, Christen und Nichtchristen, Pazifisten und Nichtpazifisten wurden zusammengeführt. Anna Mensching übernahm die Führung des Hauses. 1950 und 1955 war Wilhelm Mensching Kandidat für den Friedensnobelpreis.
Inzwischen ist die gesamte Familie verstorben. Ihre Verdienste wären in Vergessenheit geraten, hätte nicht eine Schülergruppe der Herderschule Bückeburg sie gegen manche Widerstände wieder ins Bewusstsein zurückgeholt. 2004 wurde die Diakonie- und Sozialstation Bückeburg-Bad Eilsen nach Anna Mensching benannt.
Das Motto der Familie war: „Nicht bange und nicht bitter werden, keine Furcht und keinen Hass“.
Aus dem Buch „Gegen den Strom“ Verlag für Regionalgeschichte, zusammengestellt von Ingeburg Peters


Keine Kommentare: