Montag, 6. Mai 2019

Ich und Sylt - oder: wie ich mich selbstständig machte



Anekdoten zu meinem 70. Geburtstag von Ingeburg Peters

Die zu denen gehören, die es geschafft haben, kehren jetzt, nach den Feiertagen, zurück aus Sylt, Sizilien oder von sonst woher. Wobei #Sylt mit Helgoland die Tagesausflügler-Plage gemeinsam hat, und am Gogärtchen in Kampen hängen an der Außentheke auch nicht mehr die Feinsten herum.

Sylt 1: ich war krank. Der Arzt hatte vegetative Dystonie festgestellt. Mein selbsternannter Schirmherr aktivierte seine Kontakte zur Arbeiterwohlfahrt und schickte mich zur Erholung nach Rantum ins Heim des Jugendsozialwerks. Aber im Familientrakt wurde ich von den Ehepaaren wenig wohlwollend aufgenommen, und in ein Mehrbettzimmer umquartiert, in dem außer mir noch eine Lehramts-Studentin logierte. Wir trampten zusammen über die Insel, um Krabben am Hafen zu kaufen - und abends gings in die Tenne: setzten uns dort auf die sogenannte Hühnerleiter, von der aus die Herren an der Bar zu einem Drink herunter baten. Der Besitzer einer hannoverschen Druckerei lud mich ins Hotel Stadt Hamburg ein, es gäbe dort ein tolles Frühstück. Nun war ich als gefühlte Inhaberin des Pressedienst Hannover gute Frühstücke mit Rosinenstuten und Ostfriesentee gewohnt, ließ mich also unangetastet wieder zurück fahren zum Jugendsozialwerk. Die Mitbewohnerin kam irgendwann gegen Morgen zurück.
Am Wochenende reiste der selbsternannte Schirmherr an und legte mir weitere Kreditverträge der Sparkasse Hannover zur Unterschrift vor. Den ersten hatte er mich an meinem Volljährigkeitsgeburtstag unterschreiben lassen. Das sei alles nur formal. Er bekäme von Generaldirektor Fascher (später unehrenhaft entlassen) so viel Geld, wie er nur wolle. Warum aber musste ich unterschreiben? Weil man wusste, dass eine 25 Jahre jüngere Person letztendlich für alles aufkommen müsste? Ich hatte bei der Tageszeitung, wo er rausgeflogen war und mich als Geisel mitriss, aus lauter langer Weile täglich den halben Lokalteil unter Kritik der Kolleginnen vollgeschrieben. Selbstständig sein war eine attraktive Option für mich. Als meine Elternfamilie schließlich nach jahrelangem Aufenthalt aus Indien zurückkehrte, hatte ihnen die Sparkasse meine Kredit-Informationen ins Haus geschickt. Zu spät.
Am nächsten Wochenende reiste der selbsternannte Schirmherr erneut an, um mir im Wiener Café Westerland mitzuteilen, dass mein bester Schulfreund Werner sich umgebracht habe. Er sagte damals nicht, dass Werner im Büro angerufen hatte, um mich zu sprechen. Wer den Schirmherrn kennt, weiß, was der ihm gesagt haben wird: „Frau Peters weilt auf Sylt.“

Sylt 2: Redakteur Fischer von der Kurzeitung Westerland schrieb für unseren Pressedienst und lud in sein Reihenhaus ein. Wir sollten die Gewinner eines Preisausschreibens mimen und saßen bei Wodka mit dem Inhaber einer Bar zusammen, wo ich plötzlich aufstand und ein Taxi nahm, das auf offener Strecke mit mir Angetrunkener anhielt, bis ich dem Fahrer erklärt hatte, dass ich zur Kurzeitung gehöre, und er mich gefälligst dorthin fahren solle…meine Liebe zur Kommunikation hat mich schon oft gerettet.
Anderntags waren wir bei einem aufgehübschten Konzern-Erben (Arndt von Bohlen und Halbach, Krupp; der Firma, die den speziellen gefährlichen Stacheldraht zur Abschottung Westdeutschlands von der DDR geliefert hat) zur Party eingeladen, aber die Freundin von Fischer entsprach nicht der Norm der schönen Reichen, wurde nicht eingelassen, also gingen wir alle wieder. In der Pony-Disko setzte dann der Schirmherr seine Sonnenbrille auf, war im Promirausch, denn auch Playboy Gunter Sachs hatte dort Freigetränke. Anschließend sahen wir bei der Ausdruckstänzerin Valeska Gert dem expressiven Nackttanz eines Mädchens zu.

Sylt 3: Ich saß gemütlich in meinem hannoverschen Hinterhöfchen, als der selbsternannte Schirmherr mich trickreich drängte, den Marketingchef des Supermarktes Huma, mit dem ich telefonisch verhandelt hatte, in Hamburg persönlich aufzusuchen und einen Abstecher nach Sylt zu machen...
Ließ mich breitschlagen, stand daraufhin auf dem riesigen Containerhof der Firma, und bekam tatsächlich einen langfristigen Riesenauftrag für Doppelseiten, sogar wöchentlich, konnte jedoch nur eine  monatliche Insertion stemmen.

Auf Sylt ließ ich mich, mit dem Gesicht nach unten, in den heißen Sand fallen.




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