Freitag, 7. Juni 2013

Kleinkariert (unübersichtlich, winzige Fotos), spießig und nach Brot gehend: Neue Broschüre "Die schönen Seiten der Calenberger Neustadt"

Signifikantes Gebäude der Calenberger Neustadt zu Hannover. Kleine Anmerkung von mir:  Die drei Figuren über dem Portal in ihrer calvinistischen Stringenz könnten durch barockere, venezianischere ersetzt werden. Wie wäre es mit einem Spendenaufruf diesbezüglich? text/foto:ip


Die Idee mit dem blauen Faden durch die Calenberger Neustadt ist gut.
Aber dass zumindest die jetzt erschienene Druckausgabe durch eine Werbeagentur auf Inserenten fixiert ist, finde ich bitter schade.
Es gibt historisierende Texte über Adelsbauten, aber die Villa Rosa, ein wirklich schöner Laves-Bau, wird einfach weggelassen.
Das Jugendzentrum Glocksee mit der weltweit in der Wallwriter-Szene bekannten Graffiti-Galerie und seinen tollen Konzerten (hier trat von 'Frittenbude' bis 'Wir sind Helden' schon alles auf, was Rang und Namen in der alternativen Szene hat), existiert gar nicht auf dem spießig wirkenden Prospekt.
Auch der ausländerdominierte Goetheplatz mit dem Kabul-Laden und seinen traumhaften Spezialitäten, die internationale Atmosphäre der Goethestraße, das wird völlig negiert.
Ich finde, die Broschüre grenzt hart an Xenophobie.

Außer den Inserenten hätte man wenigstens in einer Aufzählung die sonst noch vorhandenen Highlights aufführen müssen: Die Trattoria der genialen Gabriella Piu und ihres Sohns, Weinhäuschen, das gemütliche Safran, Institut für Bewegungstherapie Prof. Dordel Andertensche Wiese, Topdesignerin Melanie Wedemeier, Adem als Klatsch- und Tratschtreffpunkt, das trendige vegane Restaurant Loving Hut, Theater an der Glocksee (derzeit läuft dort, sehr gut besucht, "Ware Mensch"), Forum Sinti und Roma an der Clemenskirche mit dem kommunikativen Vorsitzenden Rose, und viele mehr. Und der Polizei-Kontaktbeamte für dies Gebiet sieht aus, wie Ralph Fiennes aus dem Gesicht geschnitten (whow).
Aber die sogenannte AWD-Arena ist seltsamerweise drin, vielleicht weil ein auf mehreren Fotos gleichzeitig ins Diktiergerät sprechender Anwalt des Herausgebers Wirtschaftsgemeinschaft Sportler vertritt?

Wo Licht ist, ist auch Schatten, sagt ein altes Sprichwort.
Wer mutig wäre, könnte sogar ein paar Worte über das inzwischen zum Groß-Betrieb durch Hinterhofgebäude erweiterte Bordell Braunstraße verlieren, direkt gegenüber der Berufsschule 6, das von der Stadtverwaltung so selbstlos gefördert wird.
Oder ein Etablissement neben der Sparkassen-Filiale, dessen 'Insassen' sich offenbar laut Werbung (auch?) an ein homosexuelles Publikum wenden.
Dazu müsste man aber halt bereit sein, sich mit Schatten zu beschäftigen, und von denen ist die Calenberger Neustadt vom Steintorviertel herüber durchaus bedroht.
Hier sehe ich einen wirklich wichtigen Ansatz zu gravierendem politischen Handeln gegeben, weit hinaus über die Werbung des Vereins Wirtschaftslebens, c/o Schlossapotheke.

Die beiden Blondinen auf dem Titelblatt sitzen nicht etwa in Schäfer's Café in der Esplanade sondern sind einem Fertigfotos anbietenden Katalog entnommen.
"Die schönen Seiten der Calenberger Neustadt" steht darunter.
Für mich eine sehr verengte Wahrnehmung dieses wirklich atemberaubenden Stadtteils, die fast ein wenig rassistisch ausgrenzt, was hier sonst noch so läuft - und hier tut sich soooo viel.
Ingeburg Peters

http://www.calenberger-vielfalt.de

nicht ganz ernst gemeinter epilog: wer mal eine gelungene image-werbung sehen will, lasse sich von DAA-chef meyer in der adolfstraße den von mir gestalteten hausprospekt zeigen... ip

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