Donnerstag, 29. Februar 2024

Dichterin Marlene Stamerjohanns: 8.März, die toten Soldaten und eine 7jährige Heldin


OFFIZIERSLITZE

Am 8. März  besuchte eine Frau K. zunächst die Kriegsgräberstätte und dann den HNO Arzt.
Aber wie ist denn das passiert, fragte der Arzt und schwenkte den Scheinwerfer ins Dunkle.. 
Och, sagte die Frau, das war schon immer so.
Schon in der Schule. Da konnte ich dem Lehrer am besten von den Lippen ablesen.
Aber  wie ist denn das passiert.
Och, sagte die Frau, da war doch dieses Erdloch, das hatte mein Großvater gegraben, genau zwei Meter mal zwei Meter. 
Aber in die Rückwand hatte mein Großvater ein Brett befestigt, da konnte man  hinuntersteigen und auch darauf sitzen.
Das hatte mein Großvater genau zwischen 2 Bäume gegraben am Rand von der Tonkuhle.
Dies Loch ist für die Kinder und die Mutter, sagte er und etwas weiter zwischen den nächsten Bäumen war dieses zweite Loch, genau so groß und auch mit einem Brett, das hatte er für sich und die Großmutter gegraben.
„War das denn im Krieg.?“ 
Vorher hatten wir ein anderes Erdloch, ganz unten in der Tonkuhle.
Da stand eine Baubude, da konnten wir tagsüber drin spielen.
Das kann man vom Tiefflieger aus sehen, sagte der Großvater, und wenn er ein Geräusch hörte, sprangen wir sofort in das Loch.
Die Kinder ganz unten, dann die Mutter, dann die Großmutter und ganz oben ich, sagte der Großvater, wenn sie schießen, treffen sie mich zuerst und ihr könnt überleben, so machen das die wilden Bienen auch hier im Wald, damit nicht das ganze Volk ausgerottet wird, wenn die bösen  Waldameisen angreifen.
„Haben sie sich denn dort erkältet?“
Ganz unten lagen die Federbetten.
Ich hatte keine Angst vor den bösen Waldameisen und hab mich dann nachts immer hochgehangelt und in der Baubude geschlafen.
Einmal, nachts, wurde auf die Baubude geschossen, da war morgens ein Loch in der Decke.
„Hat es denn da ganz laut geknallt?“
Deshalb hat mein Großvater diese beiden Erdlöcher ganz oben am Waldrand gegraben. Unter den Bäumen.
„Und haben sie denn da immer im Erdloch gelebt.?“ Ich war immer im Wald.
Ich bin immer weggelaufen in den Wald. Jeden Morgen. Da lagen nämlich ganz viele Soldaten, die lagen alle auf einer weißen Plane mit zwei roten Stoffbahnen drauf, 
Alle Soldaten lagen da, nur einer, der stand genau in der Mitte, wo die beiden Bahnen sich kreuzen, der stand immer und trug ein Gewehr.
Du kannst hier aber nicht  bleiben, sagte der Soldat mit dem Gewehr und dann hab ich mich neben die Plane auf den Laubboden gesezt. Ein Soldat, der da lag, der war auch stark verwundet.
„So so,“ sagte der Arzt , „da haben sie sich bestimmt erkältet auf dem Laubboden?“.
Weißt du was, sagte der Soldat, ich habe nur ein Bein und keine Hände, ich kann mich nicht so gut bewegen.
Das macht nichts, sagte ich, ich hab auch schon Soldaten verbunden, zuhause in der Scheune auf dem Heuboden, da hab ich den Soldaten die Schuhe ausgezogen und ihnen die Füße verbunden. Glaub mir, das war nicht so schlimm, die Füße waren ja noch dran , die sahen bloß ganz bunt aus.
Mach doch mal meinen Tornister auf, und hol da mal was raus, das sieht ganz silbrig aus, sagte der Soldat.
Ich holte das Silbrige raus und legte es dem Soldaten auf dem Bauch, er hatte nämlich ein kaputtes Hemd an
Mach das mal auf, sagte der Soldat, das ist nämlich ein Geschenk, eine Handtasche.
Die hab ich selbst gemacht, aus Soldatenlitze, echte Offizierlitze, die ist eigentlich für meine Schwester, die Tasche.
Weißt du, sagte der Soldat, ich hab nämlich eine kleine Schwester, die ist genau so alt wie du, wie alt bist du denn? Sieben Jahre, sagte ich
Meine Schwester wird im März acht Jahre, am 8. März wird sie acht Jahre, und ich wollte ihr die Tasche eigentlich zum Geburtstag schenken.
„Heute haben wir auch den 8. März,“ dachte der Arzt.
Eine echte Theatertasche, weißt du. 
Ich werde meine Schwester wohl nicht wiedersehen. Wieso denn nicht?
Ich hab das so im Gefühl.
Weißt du, sagte der Soldat, du bist jetzt meine kleine Schwester und ich schenke dir jetzt die Tasche.
Du darfst sie aber nicht verlieren und auch nicht verschenken, auch nicht. wenn du groß bist, du musst ganz doll darauf aufpassen. Wenn du groß bist, kannst du sie mit ins Theater nehmen.
Ich habe den Soldaten dann nicht mehr besucht.
Das war wohl die Angst vor diesem Gefühl, das er hatte.

„Und haben sie die Tasche noch?“

Ich habe dann immer auf dieser Tasche geschlafen im Erdloch, mit meinem linken Ohr darauf geschlafen. Und sie auch am Tag an mein linkes Ohr gehalten. Bald bekam ich Ohrenschmerzen und das Ohr hat geeitert auf die Tasche. Da hat meine Mutter mir eine Wollstrickmütze aufgesetzt und Lappen unter die Mütze geschoben.
Ich hab dann die Tasche auf das rechte Ohr gelegt und bekam dann auch Ohrenschmerzen. Ich wollte sie ja nicht verlieren.
Zuhause, als wir wieder ein richtiges Zimmer hatten, hab ich die Nähte von der Tasche aufgetrennt, da hatte ich eine  kleine Decke, nachher habe ich oft eine Kerze darauf gestellt.
„Und der Soldat?“
Das ist es ja, ich weiß nicht, sagte die Frau, er war doch mein großer Bruder.
Nach dem Krieg bin ich sofort zur Tonkuhle gelaufen.
Da waren rundherum Erdhügel aufgeworfen, in jedem Erdhügel steckte ein Stock und auf jedem Stock steckte ein Helm.
Einen Helm hab ich untersucht, da war innen eine Lederklappe mit einem Druckknopf, unter der Klappe lagen Briefe und Karten und  Nummern auf Metall. Ich konnte den Druckknopf nicht wieder verschließen und bin einfach weggelaufen. 

Da waren noch andere Kinder am Waldrand. Ich hab noch einmal zurück geschaut. Ich sah die Papiere heraus fallen. Sie wehten über die Erdhügel.
In der nächsten Woche sind die Soldaten alle umgebettet worden.  
Sie liegen hier auf dem Heldenfriedhof, 426 Soldaten, 426 Kreuze, einige sind noch nicht einmal 17 jahre alt geworden.
Mein Soldat ist nicht dabei.

Aber  sieben haben keinen Namen auf dem Kreuz. Und denken Sie, Herr Doktor, einer von den sieben Namenlosen Soldaten könnte mein großer Bruder sein.
„Das ist  doch aber schon über 60 Jahre her und längst Geschichte“.
Ja ja, sagte die Frau, eine lange Geschichte, aber sehen Sie,  Sie sind OhrenArzt. Und wirklich, Sie haben ein offenes Ohr... 
Das ist jetzt aber schon über 60 Jahre her und sehr seltsam, sagte der Arzt, 
sie haben nämlich in jedem Ohr ein Loch im Trommelfell, man kann da sehr tief hineingehen, haben sie denn noch nie an eine Operation gedacht?
Doch doch, sagte die frau, ich hatte auch schon oft einen Termin, aber sehen Sie, Sie sind Ohrenarzt und haben mir jetzt die ganze Zeit zugehört, heute, am 8. März. Wenn Sie mich operieren und ich diese Hörgeräte trage, wem kann ich dann noch diese Geschichte erzählen.






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