Mittwoch, 20. Januar 2016

Nein heißt Nein

Es gilt das gesprochene Wort!

85. Sitzung des Niedersächsischen Landtages: 
Rede der Niedersächsischen Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz  Nein heißt Nein! - Ausnahmslos gegen jegliche sexualisierte Gewalt (Drs. 17/4987 - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) 
„Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“ 
„Ja, wir brauchen eine Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung! 
Die erschreckende Situation belegt eine Studie der Europäischen Grundrechteagentur FRA, die im vorvergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Danach hat jede dritte Frau in Europa seit dem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Eine von 20 Frauen ist seit dem 15. Lebensjahr vergewaltigt worden. Eine gesetzgeberische Handlungspflicht ergibt sich schon aus dem von der Bundesrepublik Deutschland gezeichneten Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention. 
Das am 27. Januar 2015 in Kraft getretene „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht“ legt seinen Schwerpunkt auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung und Missbrauch. Das war ein erster wichtiger Schritt. Er reicht aber nicht aus, um den europäischen Vorgaben zum Sexualstrafrecht gerecht zu werden. Diese Auffassung haben wir schon lange vertreten, so bereits im Rahmen des ersten, jetzt abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahren zur Ratifikation der Istanbul-Konvention. Es besteht weiterer Umsetzungsbedarf, insbesondere in Bezug auf den Vergewaltigungstatbestand. 
Die Istanbul-Konvention und die Europäische Menschenrechtskonvention verpflichten die Staaten, zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung alle nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen. Dabei soll das fehlende Einverständnis der Betroffenen entscheidend für die Strafbarkeit sein. Die Strafbarkeit darf insbesondere nicht von Gewalt durch die Täter oder Gegenwehr der Betroffenen abhängen. Genau das ist aber nach unserem geltenden Recht der Fall. 
Die Straftatbestände der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung setzen voraus, dass der Täter das Opfer mit Gewalt, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen nötigt. Die Praxis zeigt, dass diese Straftatbestände nicht alle strafwürdigen Handlungen erfassen, mit denen die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers verletzt wird. Das muss sich ändern! Neuere Untersuchungen zeigen zudem, dass bei sexuellen Übergriffen Anzeigen erfolglos bleiben, Verfahren eingestellt werden und Freisprüche erfolgen. Und zwar nicht auf Grund einer schwierigen Beweislage, sondern, weil das Verhalten nach jetziger Rechtslage nicht strafbar ist! 
Ich möchte beispielhaft einige Fallgestaltungen aufzeigen, die in der Praxis nicht als sexuelle Nötigung nach § 177 StGB geahndet werden. 
·         Das Opfer wird überrumpelt, so beispielsweise der nicht vorhergesehene Griff zwischen die Beine in einer überfüllten U-Bahn oder am Arbeitsplatz. 
·         Ein weiteres Beispiel: das „Herunterreißen“ von Kleidungstücken für sich allein reicht nicht aus, um eine Zwangswirkung zu belegen. 
·         Ein realer Fall: In einem Strafverfahren wegen Vergewaltigung hatte der Täter zuvor den Freund seiner Exfrau in deren Anwesenheit erschossen, diese mit der vorgehaltener Waffe dann gezwungen, mit ihm zu kommen, und schließlich in einem Hotelzimmer den Geschlechtsverkehr mit ihr durchgeführt. Noch unter dem Eindruck des Erlebten ließ die Betroffene den Geschlechtsverkehr nur deshalb zu, weil sie weiterhin Angst hatte. Der Täter wurde vom Vorwurf der Vergewaltigung aufgrund fehlender Zielgerichtetheit der Gewaltanwendung freigesprochen. Es stand in Frage, ob die Gewalttätigkeiten, die vor dem sexuellen Übergriff stattgefunden hatten, schon mit der Intention ausgeübt worden sind, eine sexuelle Handlung zu erzwingen. 
·         Oder der Täter, der eine sexuelle Handlung durch Einsatz einer Drohung erzwingt, die sich aber nicht auf eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben bezieht. So hat der BGH in einem Fall eine sexuelle Nötigung abgelehnt, in dem der Täter seiner Stieftochter damit drohte, die Wohnung „kurz und klein zu schlagen“ und die Mutter zu verlassen. 
·         Schließlich noch eine letzte Fallkonstellation: Betroffene leisten keinen Widerstand, bringen fehlendes Einverständnis aber klar zum Ausdruck, verbal oder etwa durch Weinen. Dass Opfer keine Gegenwehr leisten, kann vielfältige Gründe haben. So zum Beispiel die Furcht vor einem als gewalttätig und unberechenbar bekannten Mann oder aber die Annahme, dass Gegenwehr den qualvollen Vorfall nur zeitlich verlängern würde. 
Bereits diese - nicht abschließende - Zusammenstellung macht deutlich, dass es Schutzlücken gibt, die wir schließen müssen. 
Es ist notwendig, von dem geltenden zweistufigen Tatbestandsmodell - „erst mit Gewalt oder Drohung nötigen, dann sexuelle Handlung“ - abzukehren und dies durch ein „Nein-heißt-Nein“-Modell zu ersetzen. 
So findet es sich im Übrigen auch in dem Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/ DIE GRÜNEN wieder, der im Juli des vergangenen Jahres in den Bundestag eingebracht worden ist. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht! Es kann nicht sein, dass die sexuelle Selbstbestimmung aktiv verteidigt werden muss. Nicht die Perspektive des Täters und auch nicht eine Widerstandsleistung der Betroffenen dürfen der zentrale Bezugspunkt für eine Strafbarkeit sexueller Übergriffe sein. Das „Nein“ des Opfers hat im Vordergrund zu stehen! Jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung ist unter Strafe zu stellen!“ 

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