Dienstag, 21. Februar 2017

Fluchtrouten werden immer gefährlicher

Von: German-Foreign-Policy 
An: libertom@htp-tel.de
Datum: 21. Februar 2017 um 02:43
Betreff: Newsletter - Flüchtlingsabwehr in Nordafrika (I)

Flüchtlingsabwehr in Nordafrika (I)

ALGIER/BERLIN
(Eigener Bericht) - Mit einem Fehlstart hat eine geplante Serie von Besuchen der deutschen Kanzlerin in Nordafrika zum Ausbau der EU-Flüchtlingsabwehr begonnen. Algerien hat Gespräche, die Angela Merkel gestern und heute in Algier führen wollte, kurzfristig abgesagt; offizieller Grund ist eine akute Erkrankung von Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika. Beobachter rechnen damit, dass Algerien als Transitland für Flüchtlinge in der näheren Zukunft erheblich an Bedeutung gewinnt: Weil die Flucht über Libyen aufgrund der dort grassierenden Milizengewalt immer gefährlicher wird, weichen Flüchtlinge zunehmend auf alternative Routen aus. Oran im Nordwesten Algeriens wird von Europol bereits als ein bedeutendes Zentrum von Fluchthelfern für die Überfahrt über das Mittelmeer eingestuft. Die Flüchtlingsabwehr gehört seit rund zehn Jahren zu den Schwerpunkten der deutschen Algerien-Politik. Um die Streitkräfte des Landes in die Lage zu versetzen, unerwünschte Migranten abzuwehren, rüsten deutsche Konzerne sie mit Radpanzern, Truppentransportern, Radaranlagen und Infrarotkameras aus, die in Algerien montiert werden. Das algerische Militär ist für seine harte Repression und für brutale Massenabschiebungen berüchtigt. Zur Intensivierung der Flüchtlingsabwehr reist Merkel nächste Woche nach Tunesien und Ägypten.
Fluchtverlagerung
Algerien ist schon lange ein Transitland für Flüchtlinge; vor allem die Wüstenstadt Tamanrasset im Süden des Landes ist ein traditioneller Umschlagplatz für Transporte von Waren aller Art, aber auch für Menschen, die sich auf dem Weg aus Afrika südlich der Sahara in die Küstengebiete am Mittelmeer befinden. Flüchtlinge kreuzen Algerien häufig auf dem Weg nach Marokko, um dort entweder in eine der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla zu gelangen oder aber per Schiff direkt nach Europa überzusetzen. Seitdem Libyen - das Land, von dem aus die meisten Flüchtlingsboote in See stechen - vollständig zerfallen ist und von brutalen Milizen beherrscht wird, beginnt sich die Hauptfluchtroute von dort stärker nach Algerien zu verlagern; während offizielle Stellen inzwischen von 25.000 Flüchtlingen im Land sprechen, gehen Nichtregierungsorganisationen von einer deutlich höheren Zahl aus und nennen eine Größenordnung von rund 100.000 Personen.[1] Europol stuft die westalgerische Großstadt Oran als ein bedeutendes Zentrum von Fluchthelfern und Schleusern ein. Die EU bemüht sich mittlerweile um neue Absprachen mit Algier zur Flüchtlingsabwehr.
Grenzsicherungsprojekte
Die Flüchtlingsabwehr wiederum gehört schon lange zu den Schwerpunkten der deutschen Algerien-Politik. Gespräche über Maßnahmen zur Eindämmung unerwünschter Migration standen bereits auf dem Programm, als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juli 2008 in Algier zum ersten Mal mit Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika konferierte. Am 8. Dezember 2010 konnte Merkel während Bouteflikas Gegenbesuch in Berlin mitteilen, man werde mit Algerien in Zukunft "bei einem Grenzsicherungsprojekt" kooperieren: "Solche Grenzsicherungsprojekte tragen natürlich auch dazu bei, die Flüchtlingsströme zu unterbinden".[2] Algeriens Landgrenzen sind insgesamt mehr als 6.300 Kilometer lang und ziehen sich großenteils durch Wüstengebiete; hinzu kommt die rund 1.000 Kilometer lange Küste. Von Anfang an ist klar gewesen, dass die Überwachung dieser riesigen Strecken nur mit modernster Technologie möglich ist. Berlin hat sich stets massiv dafür eingesetzt, dass Algier bei der Beschaffung der nötigen Überwachungstechnologie deutsche Unternehmen zum Zuge kommen lässt. Dabei waren Politik und Wirtschaft sogar bereit, die Produktion des Geräts zumindest zum Teil in Algerien und in Kooperation mit algerischen Firmen durchzuführen.
Radpanzer
Das gilt unter anderem für die bis zu 1.200 Rheinmetall-Radpanzer des Typs Fuchs, die Berlin den algerischen Streitkräften für die Überwachung der Landgrenzen zugesagt hat. Der Deal ist im Grundsatz bereits während Merkels Algier-Aufenthalt im Jahr 2008 beschlossen [3] und am 8. Dezember 2010 von Merkel und Bouteflika konkretisiert worden - beim gemeinsamen Mittagessen mit dem damaligen Rheinmetall-Vorstandsvorsitzenden Klaus Eberhardt. Vier Monate später, im März 2011, wurde die Firma "Rheinmetall Algérie" mit Sitz in Ain Smara bei Constantine im Nordosten Algeriens gegründet. Beteiligt waren neben der deutschen Ferrostaal AG das algerische Verteidigungsministerium, der staatliche algerische Baumaschinenhersteller SOFAME und zwecks Finanzierung der Staatsfonds der Vereinigten Arabischen Emirate, Aabar. In Ain Smara sollen fast 1.000 Fuchs-Radpanzer hergestellt werden; mehrere hundert Algerier sind dazu bei Rheinmetall Landsysteme in Kassel sowie am Berufsbildungszentrum der dortigen Handelskammer ausgebildet worden: Geht es um Rüstungsexport und Flüchtlingsabwehr, beweist Deutschland erstaunliche Flexibilität. Berichten zufolge wird der "Fuchs" seit Mitte letzten Jahres in Algerien eingesetzt - an den Landesgrenzen und bei Anti-Terror-Operationen.
Radaranlagen
Ebenfalls in Algerien produziert werden Multi-Role Vehicles der Daimler-G-Klasse, Unimogs und weitere Mercedes-Militär-Lkws für die algerische Armee. Dazu ist im Jahr 2012 die Firma SAPPL-MB gegründet worden; Teilhaber sind die algerische SNVI (Entreprise Nationale des Véhicules Industriels), das algerische Verteidigungsministerium und der emiratische Staatsfonds Aabar. Wie im Falle des Radpanzers Fuchs werden die notwendigen Bausätze aus Deutschland angeliefert und an algerischen Standorten - Rouiba bei Algiers und Tiaret im Nordwesten des Landes - montiert. Die erforderliche Mobilität der algerischen Armee ist damit - nicht nur bei der Grenzabschottung - garantiert. In Algerien hergestellt werden inzwischen zudem Radaranlagen, Infrarotkameras und Kommunikationsgerät nach deutschen Bauplänen - auch dies für militärischen Gebrauch. Dazu hat die Société commune algérienne de fabrication de systèmes électroniques (Scafse) im Jahr 2012 ein Joint Venture mit der Deutschen Elektronik Gesellschaft für Algerien mbH (Degfa) gegründet; die Degfa wiederum ist zu diesem Zweck von der bei München ansässigen Airbus-Militärsparte und den deutschen Unternehmen "Rohde und Schwarz" sowie Carl Zeiss gebildet worden. Dass die drei Firmen Technologie für die Überwachung der algerischen Grenzen liefern dürfen, ist - ganz wie die Bereitstellung von Radpanzern und von Militär-Lkws - im Jahr 2011 vom Bundessicherheitsrat genehmigt worden.[4]
Kriegsschiffe
Dasselbe gilt für den Verkauf von zwei Fregatten an die algerische Marine. Auch dieser ist bereits 2008 angebahnt worden; im März 2012 konnte die Kieler ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) den entsprechenden Liefervertrag mit Algerien unterzeichnen. Das Geschäft hat der norddeutschen Marineindustrie mehrere Jahre lang Profit garantiert. Der genaue Kaufpreis ist nicht bekannt; doch hat die Bundesregierung den Deal mit einer Hermesbürgschaft in Höhe von 2,13 Milliarden Euro abgesichert. Zustande gekommen ist er, weil die deutsche Marine die Einweisung algerischer Soldaten in die Nutzung der Kriegsschiffe zugesagt und dies bereits im Mai 2008 bei dem Besuch einer Marinedelegation in Begleitung eines TKMS-Vertreters sowie eines Referatsleiters aus dem Verteidigungsministerium in Algier bekräftigt hatte; dies erwies sich als entscheidender Vorteil gegenüber der internationalen Konkurrenz.[5] Im vergangenen Jahr konnten dann die beiden Fregatten schließlich in Kiel an die algerischen Käufer übergeben werden. Zwar werden Fregatten nicht benötigt, um Flüchtlingsboote an der algerischen Küste am Ablegen zu hindern. Doch heben sie die Fähigkeiten der algerischen Seestreitkräfte an; deutsche Marinekreise nehmen bereits eine "Kooperation mit europäischen Mittelmeermarinen" in den Blick.[6] Diesen hat sich die algerische Marine mit Algeriens Beitritt zum NATO-"Mittelmeerdialog" im Jahr 2000 formell angenähert.
In die Wüste
Algeriens Militär, das von der Berliner Politik und der deutschen Rüstungsindustrie gestärkt wird, ist nicht nur für seine brutale Repression berüchtigt. Wie Menschenrechtsorganisationen berichten, schieben die algerischen Streitkräfte immer wieder Flüchtlinge in die Wüste ab; Ende 2016 etwa wurden vermutlich mehr als 1.500 schwarzafrikanische Migranten über die südliche Landesgrenze zurück nach Niger deportiert.[7] Die dortigen Lebensbedingungen für Flüchtlinge sind desolat. Dessen ungeachtet will Berlin die Flüchtlingsabwehr in Algerien weiter stärken; die Gespräche mit der Regierung in Algier, die - angeblich wegen Erkrankung des Staatspräsidenten - nun kurzfristig abgesagt wurden, werden so rasch wie möglich nachgeholt.
[1] Saskia Houttuin, Eva Huson: Algeria: the new migrant staging post for Europe. www.irinnews.org 25.10.2016.
[2] Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Staatspräsidenten der Demokratischen Volksrepublik Algerien, Abdelaziz Bouteflika in Berlin. 08.12.2010.
[3] Berlin will Panzer-Milliardendeal nicht stoppen. www.handelsblatt.com 18.06.2014.
[4] Lyes Mechti: Sortie d'usine des premiers systèmes électroniques. El Watan 09.09.2014.
[5] Laufburschen in Uniform. Der Spiegel 32/2015.
[6] Klaus Mommsen: Die algerische Marine - Die operativen Aufgaben bleiben vor der eigenen Küste. MarineForum 12/2015.
[7] Migrants expulsés d’Algérie: l'explication des autorités sur l'opération. www.rfi.fr 08.12.2016.
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59544
Gruß Thomas

Wenn wir hier lesen, dass die deutsche Militärsparte Rüstungsgüter für die Flüchtlingsabwehr über Algerien bereits seit 9 Jahren plant und diese sogar vor Ort produziert, dann ist dabei wohl auch schon an die Destabilisierung  und die Zerschlagung Libyens gedacht worden, wie sie in den letzten Jahren von einigen unserer NATO-Bündnispartner ausgeführt wurde.

Bitte unterstützt die Forderung, dass Deutschland alle Militärbündnisverpflichtungen verlässt, indem es diese aufkündigt und seine aktive wie passive Mitwirkung daran ab sofort aussetzt. Und die frei werdenden Finanzmittel zur Beseitigung der Fluchtursachen in den betroffenen Ländern einsetzt. 

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