Dienstag, 21. Februar 2017

Russland weniger präsent


wieder liegt ein anstrengendes Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) hinter mir, insgesamt meine fünfte Konferenzbeobachtung seit 2009. Einen Bericht über meine Eindrücke habe ich inzwischen erstellt. Folgende Stichworte behandle ich dabei:

              Was ist eigentlich die Sicherheitskonferenz?
              Themen im Mittelpunkt
              Rolle Russlands in diesem Jahr
              Neue Themen im Plenum und in Nebenveranstaltungen
              Die beiden Seitenveranstaltungen unserer Projektgruppe
              Eindrücke unserer Beobachterin Daniela Dahn
              Unsere öffentliche Veranstaltung am Vorabend
              Artikel in der Süddeutschen Zeitung


Hier der Bericht:

Was ist eigentlich die Sicherheitskonferenz? Sicherlich ein vielschichtiges Geschehen. Eines ist sie aber bestimmt: eine Bühne, die Politiker gerne für ihre Botschaften nutzen. Diese Statements werden dann von den zahlreich anwesenden Medienvertretern aufgegriffen und wie mit einem überdimensionalen Lautsprecher in die Öffentlichkeit transportiert. Besonders gilt dies für die ganz wichtigen Politiker, die – auch diesmal – am Samstagvormittag eingeplant waren. Nicht nur das Plenum, sondern auch die Galerie wurden da für die Konferenzteilnehmer und die Delegationen der Redner benötigt, so dass wir Beobachter keinen Zutritt bekamen und nur z.B. vor einem großen Bildschirm im Foyer die Möglichkeit hatten, überhaupt etwas mitzubekommen. Zuhause vorm Fernseher wäre dies sicher angenehmer gewesen – und mit deutscher Übersetzung!

Im Mittelpunkt des Interesses stand diesmal die Frage: Was will Trump? Ist die NATO für die neue US-Regierung obsolet? Vizepräsident Pence versuchte in emotionaler Weise die gemeinsame Geschichte zu beschwören und versicherte Europa die Treue der USA. „Friede kommt nur durch Stärke“, so Pence. Dafür sei aber mehr zu tun, womit er bei einem weiteren Hauptthema der diesjährigen Konferenz landete: der Vereinbarung der NATO-Staaten aus dem Jahr 2014, bis in zehn Jahren 2 % der jeweiligen Wirtschaftsleistung für Rüstung auszugeben. Die Einhaltung dieses 2%-Beschlusses wurde in vielen Beiträgen angemahnt. Auch Deutschlands neuer Außenminister Gabriel hielt grundsätzlich daran fest, hinterfragte die Forderung aber auch deutlich: Höhere Militärausgaben seien nicht mit höherer Sicherheit gleichzusetzen. Nur zwei EU-Länder hätten das 2%-Ziel bisher erreicht, eines davon sei Griechenland, angesichts seiner wirtschaftlichen Probleme sicher nicht wirklich ein Vorbild, so Gabriel. Konferenzleiter Ischinger hatte im Vorfeld der Konferenz bereits eine neue Zahl ins Spiel gebracht, für die er – wie zu hören war – am Samstagabend auch von Noch-Bundespräsident Gauck Unterstützung bekam: insgesamt 3 % für die Aufstockung der Verteidigungsausgaben zum einen und für Krisenprävention, Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit zum anderen. Hintergrund: Auch das vor vielen Jahren vereinbarte Ziel, für Entwicklungshilfe 0,7 % der Wirtschaftsleistung auszugeben, wurde bisher nicht erreicht. Ein durchaus zweischneidiger Vorschlag, dessen taktische Hintergedanken Ischinger am Eröffnungstag der Konferenz in einem Interview mit Bayern 5 gleich selbst offenlegte.

Im Vergleich zu früher waren die Russen diesmal deutlich weniger präsent auf der Konferenz. Vielleicht lag es daran, dass der Westen momentan so sehr mit sich selbst beschäftigt ist? Oder war es eine Art Ausgrenzungsstrategie? Der Vorwurf der russischen Krim-Annektion als Bruch des Völkerrechts zog sich jedenfalls durch viele Reden. Kein Thema waren hingegen die Fälle, in denen sich der Westen nicht an die Regeln des Völkerrechts gehalten hat, wie z.B. beim Kosovo-Krieg gegen Serbien, der ohne UN-Mandat stattfand. Außenminister Lavrov durfte dann zumindest als letzter der prominenten Gäste des Samstagvormittags auch noch aufs Podium. Er bezeichnete die NATO als „Institution des Kalten Krieges im Denken und im Herzen“. Seine viel zitierte Formulierung einer „Post-West-Weltordnung“, vielleicht angeregt durch die Formulierung im Tagungsprogramm „The Future of the West: Downfall or Comeback?“, verband er allerdings mit der Hoffnung, dass das Völkerrecht dann endlich beachtet wird. Und am Sonntagvormittag konnte der russische Politiker Kosachev auf einem Podium zu Syrien darauf hinweisen, dass neben ihm zwar u.a. ein Vertreter der Syrischen Nationalkoalition, aber keiner der syrischen Regierung saß. Beim vorigen Podium, einer Debatte nur unter US- Senatoren, hatte aber bereits Senator L. Graham seine Überzeugung zum Besten gegeben, dass 2017 das Jahr sei, „wo wir den Russen in den Hintern treten müssen“.

Eine größere Rolle spielten diesmal Entwicklungspolitik und Afrika, ausgehend von der Hoffnung, zukünftigen Flüchtlingsströmen nach Europa vorzubeugen. Beachtenswert war insbesondere der Auftritt des Sängers Bono, Mitbegründer der Lobby- und Kampagnenorganisation ONE. Seine Rede entsprach seinem Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom gleichen Tag (17.02.17, S. 2). Und auch in dem von Konferenzleiter Ischinger am Freitag kurz vor Konferenzbeginn gemeinsam mit der Verteidigungsministerin und dem Entwicklungsminister vorgestellten neuen Buch „Deutschlands neue Verantwortung“ werden Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik miteinander verknüpft. Grundsätzlich halte ich das für einen positiven Ansatz. Es ist aber keineswegs gewiss, ob dadurch die Sicherheitslogik – sich schützen gegen den anderen – aufgeweicht werden kann zugunsten einer ganzheitlicheren, friedenslogischen Betrachtung oder ob es nicht eher zu einer „Versicherheitlichung“ der Entwicklungspolitik kommt, die paternalistisch zu wissen meint, was für die afrikanischen Länder gut ist, aber vor allem die Interessen des Westens im Blick hat. Dies wird weiter diskutiert werden müssen!

Am Samstagnachmittag fanden im Hauptprogramm zwei parallele Veranstaltungen statt: „Gesundheitssicherheit“ im Konferenzsaal und „Klimasicherheit“ im Königssaal. Beide habe ich jeweils zu Teilen besucht und war insbesondere von der zweiten Veranstaltung sehr angetan. Die ehemalige irische Präsidentin M. Robinson schilderte die Betroffenheit einer Afrikanerin, als ihr klar wurde, dass die Flut, die ihr Dorf zerstört hatte, nicht eine Strafe Gottes, sondern Folge des Lebensstils in den reichen Ländern ist. S. Hasina, Premierministerin von Bangladesch, das unter einem steigenden Meeresspiegel besonders leiden wird, fragte, was die armen Länder denn überhaupt tun könnten. Der finnische Präsident S. Niinistö betonte, es sei ja nicht nur das 2%-Ziel der NATO-Rüstungsausgaben beschlossen, sondern auch die Klimavereinbarung von Paris vereinbart worden. Diese sei deshalb genauso einzuhalten. Und die schwedische Außenministerin M. Wallström sagte: „If you want peace, invest in peace!“ Sogar der US-Politiker auf diesem Podium hörte sich recht vernünftig an – kein Wunder: Senator S. Whitehouse hat den Kampf gegen den Klimawandel zu seiner Sache gemacht. Offensichtlich war dies also wieder die „Vorzeigeveranstaltung für Kritiker“, wie es ein MSC-Mitarbeiter mir gegenüber einmal selbstironisch formuliert hatte. Leider profitieren solche Nebenveranstaltungen aber kaum von dem oben erwähnten Lautsprechereffekt der Sicherheitskonferenz.

Dies gilt umso mehr für die Vielzahl von Seitenveranstaltungen, die inzwischen im Rahmen der Konferenz stattfinden. Die meisten richten sich nur an eingeladene Gäste. Auch ich hatte im Vorfeld per E-Mail einige Einladungen erhalten. Unsere Projektgruppe „Münchner Sicherheitskonferenz verändern“ e.V. war selbst Mitveranstalterin von diesmal sogar zwei Seitenveranstaltungen für Teilnehmende der Sicherheitskonferenz. Die Veranstaltung zur Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg am Freitagnachmittag litt unter dem zeitgleichen Auftritt des amerikanischen Verteidigungsministers. Außerdem befand sich der Veranstaltungsort im Literaturhaus – angesichts regnerischen Wetters und des bei Konferenzbeginn total überforderten Garderobenpersonals im Bayr. Hof – zu weit vom Hauptprogramm entfernt. Alle der immerhin fast fünfzig für diese Veranstaltung Angemeldeten wollen wir nun aber per E-Mail über die Möglichkeiten der Gewaltfreien Kommunikation im politischen Kontext informieren.

Besser erging es unserer Seitenveranstaltung unter Federführung des „Forum Ziviler Friedensdienst“, die am Samstag als Frühstück bereits um 7.45 Uhr stattfand und bei der ich als Mitveranstalter ein Grußwort vortrug. Trotz des schwer zu findenden Veranstaltungsorts (Trinkstüberl im Keller des Bayr. Hof) konnte bei dieser exklusiven und prominent besetzten Gesprächsrunde sehr deutlich werden, wie die internationale Gemeinschaft ohne Waffeneinsatz und Aufrüstung Verantwortung in Konflikten übernehmen kann. In eindrücklicher Weise schilderte Tiffany Easthom, Direktorin von Nonviolent Peaceforce wie „Unarmed Civilian Protection“ (Unbewaffneter Schutz von Zivilisten) in Kriegen wie im Südsudan Menschenleben rettet. Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz vertrat auf unserer Veranstaltung, was auch die Vereinten Nationen längst fordern: Zivile Konzepte zum Schutz vor Gewalt müssen Priorität haben – denn sie wirken! Oliver Knabe, Vorsitzender des forumZFD: „Ich bin nach dieser Sicherheitskonferenz noch mehr als bisher überzeugt: Nur wenn wir gewaltfreie Alternativen der Deeskalation und Friedensförderung stärken, können wir die Aufrüstungsspirale stoppen.“ Interessant auch mein kurzer anschließender Austausch mit Maurer über das öffentliche Programm im Rahmen des Weltwirtschaftsforums in Davos, das er vor ca. 10 Jahren mit ins Leben gerufen hat und das – so Maurer –  auch von den Tagungsteilnehmern selbst besucht werde, da es so attraktiv sei.

Am Sonntagvormittag wurde ein durchaus interessanter Versuch gemacht, die verschiedenen Akteure des Nahen Ostens zu Wort kommen zu lassen. Für jeweils zwanzig Minuten hatten nacheinander die Vertreter von Iran, Israel, der Türkei und Saudi Arabien die Bühne für sich. Sie gaben jeweils ein kurzes Statement ab und wurden anschließend von der sehr beeindruckenden BBC-Journalistin L. Doucet befragt. Eine Sonderrolle hatten dabei der Iran, der als erster auftrat und von Ischinger selbst interviewt wurde und Israel, das nicht vom Außenminister sondern vom Verteidigungsminister vertreten wurde. Der Iran warb für ein „regionales Dialogforum“, wie auf Nachfrage deutlich wurde „mit den Nachbarn am Persischen Golf“, also unter Ausschluss Israels. Der israelische Minister A. Liberman sah drei Probleme in der Region: „Iran, Iran, Iran!“ und plädierte für „einen anderen Dialog“, „eine Koalition der Moderaten“. Die Komplexität des Konflikts angesichts der verschiedenen Akteure in Nahost – immerhin kamen vier davon zu Wort – mit unterschiedlichen Interessen, Befürchtungen, Feindbildern und Annäherungsversuchen konnte so sehr deutlich werden. Ob es irgendwann einen mutigen Politiker in Iran oder Israel geben wird, der den Dialog mit der anderen Seite aufzunehmen wagt?

Begleitet auf die Sicherheitskonferenz wurde ich in diesem Jahr von Daniela Dahn, Schriftstellerin und Friedensaktivistin aus Berlin. Sie wird voraussichtlich ihre Eindrücke in einem eigenen Bericht schildern. Im Rahmen der Veranstaltung der Petra-Kelly-Stiftung im Anschluss an die Konferenz erläuterte sie anhand von zwei Schlüsselsätzen die Pole, zwischen denen sich nach ihrem Eindruck die Tagung bewegte: „Die NATO dient dazu, unseren Lebensstil zu bewahren.“ Dieser bedrohlich wirkende Satz des amerikanischen Verteidigungsministers steht für das nach wie vor stark militärische Denken auf der ehemaligen Wehrkundetagung. Den anderen Pol bildete für Dahn der hoffnungsvolle Satz des sehr überzeugenden neuen UN-Generalsekretärs A. Guterres: „Das politische Establishment ist die größte Bedrohung für die Sicherheit.“ Allerdings bekam dieser zweite Satz – so Dahn – deutlich weniger Beifall. Für die Veranstaltung der Petra-Kelly-Stiftung wirkte die Teilnahme von Dahn sehr belebend und auch der friedensbewegte Teil des Publikums fühlte sich diesmal angemessen auf dem Podium vertreten.

Kurz möchte ich noch erwähnen, dass auch unsere (in Kooperation mit der Petra-Kelly-Stiftung durchgeführte) Veranstaltung am Vorabend der Konferenz gut gelungen ist. Zum Thema „Neue deutsche Verantwortung?“ diskutierten die Friedensforscher/innen C. Hauswedell (FEST Heidelberg) und U. Roos (Uni Augsburg) mit dem Politologen H. Maull (Uni Trier). C. Rungius musst leider erkrankt absagen. Alle Podiumsteilnehmer hatten sich bereits in ihren Veröffentlichungen mit diesem Thema wissenschaftlich auseinandergesetzt, so dass eine sehr kompetente Debatte, auch unter Einbezug des Publikums, stattfinden konnte. Erfreulicherweise hatte am gleichen Tag die Süddeutsche Zeitung auf der Leute-Seite des München-Teils einen längeren Artikel über mein Friedensengagement und die Arbeit unserer Projektgruppe veröffentlicht. So können wir insgesamt mit unseren Aktivitäten zum Konferenzwochenende recht zufrieden sein, auch wenn wir natürlich mit unseren bescheidenen Mitteln nur kleine Anstöße zur gesellschaftlichen Debatte und zur Veränderung der Sicherheitskonferenz zu einer „Münchner Konferenz für Friedenspolitik“ geben können. Deshalb sind auch die Friedenskonferenz und die Anti-Siko-Demonstration als öffentlich wahrgenommene Beiträge zur gesellschaftlichen Debatte um Sicherheit, Krieg und Frieden weiterhin sehr wichtig.

Und wie haben Sie in diesem Jahr die Münchner Sicherheitskonferenz und die Veranstaltungen im Umfeld wahrgenommen? Wir sind gespannt auf Ihre Rückmeldungen zu unserem Newsletter, aber auch zu unserer Projektzeitung, die am Konferenzwochenende verteilt wurde!

Mit guten Wünschen
Thomas Mohr
Vorsitzender der Projektgruppe "Münchner Sicherheitskonferenz verändern" e.V.
www.mskveraendern.de

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