Endstation Depression: Wenn Schülern alles zu viel wird
KKH-Stress-Auswertung: Immer mehr Sechs- bis 18-Jährige psychisch krank
Hannover,
24. Oktober 2018 – Kopfschmerzen, Magendrücken und am Ende erschöpft
und depressiv: Immer mehr Schüler leiden an psychischen Erkrankungen
und klagen über Beschwerden, die keine organischen Ursachen haben. Das
geht aus einer aktuellen Datenerhebung der KKH Kaufmännische
Krankenkasse hervor. Rund 26.500 Sechs- bis 18-jährige KKH-Versicherte
sind demnach bundesweit betroffen. Hochgerechnet auf
ganz Deutschland sind das etwa 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche.
Ein zentraler Grund: Stress. Hoher Leistungsdruck durch Schule, Eltern
und eine dauerbeschleunigte Gesellschaft, digitale Reizüberflutung,
Mobbing in sozialen Netzwerken, Versagensängste:
Viele Kinder kommen mit ihrem Leben nicht mehr klar, weil sie
überfordert und verzweifelt sind.
Die
Auswertung der KKH-Daten ist alarmierend: 2017 litten allein rund 8.300
Sechs- bis 18-Jährige unter sogenannten Anpassungsstörungen, also
unter depressiven Reaktionen aufgrund körperlicher und seelischer
Belastungen wie sie etwa bei hohem Leistungsdruck und Mobbing entstehen.
Den größten Anstieg mit 90 Prozent im Vergleich zu 2007 gab es hier bei
den 13- bis 18-Jährigen. Das zeigt: Der Stress
nimmt mit den Schuljahren und den Anforderungen zu. Die Symptome bei
Anpassungsstörungen reichen vom Gedankenkarussell bis hin zu
Frustration, Reizbarkeit und Mutlosigkeit. Von Angststörungen wie
Panikattacken waren außerdem rund 3.400 Schüler betroffen. Auch
hier gab es bei den Älteren den größten Anstieg mit 76 Prozent.
Nicht
selten münden permanenter Stress, Druck und Mobbingerfahrungen in eine
Depression. Erschreckend: In der Altersgruppe der 13- bis 18-jährigen
Schüler verzeichnete die KKH bei Depressionen von 2007 auf 2017 den
größten Anstieg überhaupt – um fast 120 Prozent. Immer häufiger stellen
Ärzte außerdem schon im Schulalter die Diagnose Burnout. Auch da
registriert die KKH im selben Zeitraum einen enormen
Anstieg – sowohl bei den Jüngeren als auch bei den Älteren um jeweils
mehr als das Doppelte. Statistisch betrifft dies bisher nur eine kleine
Gruppe von rund 1.000 jungen Versicherten, doch der drastische Anstieg
der Fälle zeigt, dass immer mehr Schüler Schwierigkeiten
bei der Lebensbewältigung haben und ausgebrannt sind. Burnout ist keine
eigenständige Krankheit, sondern gilt als Vorstufe zur Depression und
wird bisher als Zusatzdiagnose im Zuge anderer, meist auch psychischer
Erkrankungen gestellt.
Bevor
es allerdings zu diesen schwerwiegenden Erkrankungen kommt, klagen die
betroffenen Jungen und Mädchen häufig zunächst über körperliche
Beschwerden wie Schmerzen, Herz-Kreislauf- und Magen-Darm-Probleme, die
sich auf keine organische Erkrankung zurückführen lassen (sogenannte
somatoforme Belastungen). Auslöser sind auch hier vor allem emotionaler
Stress und Konflikte. Laut KKH-Auswertung haben
damit offenbar zunehmend jüngere Schüler zu kämpfen: Bei den Sechs- bis
Zwölfjährigen gab es mit 36 Prozent einen größeren Anstieg als bei den
13- bis 18-Jährigen (plus 21 Prozent). Vor einer Klassenarbeit ist das
völlig normal. Dies darf aber nicht zum Dauerzustand
werden. „Deshalb ist es wichtig, dass Schüler lernen, mit
Herausforderungen und Belastungen umzugehen“, sagt Franziska Klemm,
Psychologin bei der KKH. „Dabei spielt die Unterstützung aus dem
gesamten Umfeld eine entscheidende Rolle. Deshalb sollte
Stress-Prävention
nicht nur in der Schule, sondern auch Zuhause stattfinden.“
Insgesamt
zeigt die Auswertung, dass unter den 13- bis 18-jährigen Schülern
deutlich mehr Mädchen und junge Frauen von psychischen Erkrankungen
betroffen sind. Bei den Sechs- bis Zehnjährigen sind es dagegen in etwa
gleich viele Mädchen und Jungen.
Ø
Die KKH-Stress-Umfrage
Schulischer Leistungsdruck und Mobbing sind die größten Stressfaktoren
Laut
einer Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH fühlen sich Schüler offenbar
nicht vorrangig durch zu viele Termine in der Freizeit
gestresst. Gut jedes dritte schulpflichtige Kind im Alter von sechs bis
18 Jahren geht zwar an mindestens drei Tagen in der Woche festen
außerschulischen Aktivitäten nach. Rund 56 Prozent gelingt es den Eltern
zufolge aber dennoch gut, eine Balance zwischen
Schule und Freizeit zu finden. Viel größere Stressfaktoren sind laut
der befragten Eltern permanenter Leistungsdruck in der Schule, Mobbing
sowie gesellschaftlicher Druck durch Medien, Idole und Influencer. Jeden
fünften Sechs- bis Neunjährigen belastet Streit
mit Freunden und Mobbing durch Mitschüler am meisten, bei den Zehn- bis
18-Jährigen steht klar Konkurrenz- und Leistungsdruck in der Schule an
erster Stelle (31 Prozent). „Das liegt nicht unbedingt daran, dass etwa
die Schule an sich schwerer geworden ist.
Vielmehr werden immer bessere Leistungen erwartet. Normale,
durchschnittliche Leistungen werden dagegen oft abgewertet oder
problematisiert“, erläutert Professor Marcel Romanos, Leiter der Klinik
und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie am Würzburger Universitätsklinikum, der mit der KKH
eng zusammenarbeitet.
Ältere Schüler ziehen sich bei Stress häufiger zurück als Jüngere
Mit
steigendem Konkurrenz- und Leistungsdruck und zunehmendem Alter der
Schüler vermehren sich auch die Symptome. So klagen laut der befragten
Eltern fast ein Drittel der 16- bis 18-Jährigen über Müdigkeit und
Erschöpfung und jeder Vierte über stressbedingte Kopfschmerzen. Die
Zehn- bis Zwölfjährigen leiden dagegen stärker unter Bauch- und
Magenschmerzen als die Schüler der anderen Altersklassen.
Unter Stress lässt vor allem die Konzentration nach: 28 Prozent der
Eltern sagen, dass ihr Kind sehr häufig bis häufig aufgrund von Stress
unkonzentriert ist. Jeder fünfte Erziehungsberechtigte gibt an, dass es
sehr häufig oder häufig vorkommt, dass sein Kind
bei Stress schnell aggressiv wird. Mit deutlichem Abstand folgen als
sehr häufige oder häufige Reaktionen auf Stress Rückzug (zwölf Prozent),
Traurigkeit (neun Prozent) und Angst (acht Prozent). 13- bis 18-Jährige
kapseln sich bei Stress tendenziell häufiger
ab als Sechs- bis Zwölfjährige.
Das
Meinungsforschungsinstitut Forsa hat 1003 Eltern von Sechs- bis
18-Jährigen im Jahr 2018 repräsentativ im Auftrag der KKH befragt.
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