Erinnerungskultur
Die extreme Rechte ist wieder auf dem Vormarsch.Deshalb hier
eine von mir zusammengestellte Familiengeschichte über Zivilcourage aus einem Buch,
das ich auf der Straße fand - von der Familienforschung Niedersachsen aussortiert
Der Name war Programm. Die Menschings in Bückeburg zeigten
Widerstand und Zivilcourage im Nationalsozialismus.
Hier streiche ich besonders die Pastorentochter Anna Mensching
heraus, die ähnlich wie die Ehefrau von Albert Schweitzer in den Würdigungen zu
kurz kommt.
Ihr Ehemann Wilhelm erhielt posthum 2001 die höchste
Auszeichnung, die Israel an Nichtjuden vergibt: „Gerechter unter den Völkern“. Aber
leider wurde nur sein Name auf der Memorial-Wall im „Garten der Gerechten“ in
Yad Vashem verewigt.
Die beiden wuchsen in unmittelbarer Nachbarschaft in dem
kleinen schaumburg-lippischen Dorf Lauenhagen auf. Sie verlobten sich 1912 und
1913 fand im heutigen Ruanda ihre
Hochzeit statt, wohin sie in eine Missionarsstelle gegangen waren. Anna und
WilhelmMensching beobachteten mit wachsenden Befremden den rassischen,
nationalen und kirchlichen Hochmut mancher Missionare. Diese Erfahrungen
prägten fortan ihr Handeln.
Im Ersten Weltkrieg wurden die beiden dort 1916 verhaftet
und 4 Jahre lang interniert. Nachdem die mit Zwillingen hochschwangere Anna von
belgischen Soldaten getreten worden war, behielt ihr Sohn Otto lebenslange
gesundheitliche Schäden zurück. Außerdem wurde sie zwei Jahre lang von ihrem
Mann getrennt. Durch die Begegnung mit der Gandhi-Bewegung konnten sie
durchhalten.
Erst zwei Jahre nach Kriegsende kehrten sie mit der
inzwischen geborenen Tochter Johanna nach Deutschland zurück. Wilhelm übernahm
die Pfarrstelle in Bückeburg-Petzen, 1922 kam der dritte Sohn zur Welt.
Kirche, Gemeindehaus und Pfarrwohnung wurden nun zum
Mittelpunkt umfangreicher Friedensaktivitäten. Kontakte zu den Quäkern, jenen
Christen, die religiöse Strukturen für sich ablehnen und stattdessen das
Schwergewicht auf das soziale Engagement legten, kamen hinzu. Mensching schrieb
in sein Gästebuch: „Ein International House ist mehr wert als 100
Friedenskonferenzen.“, was in der Garnisonsstadt Bückeburg gar nicht gut ankam.
Aber Dreiviertel Gemeindeglieder widersprachen den
Beschwerden aus Militärkreisen. Als die Nazis sie ab 1933 drangsalierten,
blieben die Menschings distanziert. Anna: „Ich kann nicht für Hitler stimmen“,
bat im Wahllokal um einen anderen Stimmzettel, denn ihrer war gekennzeichnet.
Dann traten sie und Wilhelm ans Fenster und gaben den Zettel mit einem
deutlichen „Nein“ versehen ab.
Anna kaufte weiter in jüdischen Kaufhäusern ein. Wilhelm
predigte von der Kanzel, nicht zu schweigen. Die Gestapo konnte ihn nicht
verhaften, weil ein großer Teil der Gemeinde sich schützend vor ihn stellte.
Der Kriegsausbruch 1939 traf die pazifistische Pastorenfamilie
wie ein Schock, 1944 kam der jüngste Sohn an der Ostfront ums Leben.
Mit heimlichen Flugblättern aus dem Quäkerverlag sollten bis
1942 Verfolgte vor dem Selbstmord bewahrt werden. Der Leiter kam aber ins Konzentrationslager,
nachdem ein Rosegger-Zitat von der Gestapo entdeckt wurde: „Die für das
Vaterland sterben, ehren wir am besten, wenn wir für das Vaterland leben! Wenn
wir mehr für das Vaterland leben würden, wäre es vielleicht seltener notwendig,
fürs Vaterland zu sterben.“
Menschings ließen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen,
und auch die Berlinerin jüdischen Glaubens Ruth Lilienthal bei sich
unterschlüpfen. Lilienthal schrieb über die Ehrungen: „In Wahrheit gebühren sie
der ganzen Familie. Anna und Tochter, die mich so liebevoll pflegten, waren mir
damals am nächsten.“
Unschuldig verfolgte Menschen zu unterstützen war christliches
Gebot für die Menschings. In den Nachkriegsjahren 1948 gründeten sie die erste
Friedensschule der Bundesrepublik Deutschland. Juden und ehemalige
Nationalsozialisten, Farbige und Weiße, Christen und Nichtchristen, Pazifisten
und Nichtpazifisten wurden zusammengeführt. Anna Mensching übernahm die Führung
des Hauses. 1950 und 1955 war Wilhelm Mensching Kandidat für den Friedensnobelpreis.
Inzwischen ist die gesamte Familie verstorben. Ihre
Verdienste wären in Vergessenheit geraten, hätte nicht eine Schülergruppe der
Herderschule Bückeburg sie gegen manche Widerstände wieder ins Bewusstsein
zurückgeholt. 2004 wurde die Diakonie- und Sozialstation Bückeburg-Bad Eilsen
nach Anna Mensching benannt.
Das Motto der Familie war: „Nicht bange und nicht bitter
werden, keine Furcht und keinen Hass“.
Aus dem Buch „Gegen den Strom“ Verlag für Regionalgeschichte,
zusammengestellt von Ingeburg Peters
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