Samstag, 30. August 2008

niedergang des kaiser-wilhelm-ratsgymnasiums

dem kaiser wilhelm ratsgymnasium (kwr) zu hannover wird der schleichende niedergang nachgesagt. wenn sich die ehemaligen am wochenende nachts im zaza am raschplatz treffen, ist die rede von katastrophalen organisatorischen verhältnissen heute. und wenn bisher der ausweis, das abitur im kaiser-wilhelm-ratsgymnasium gemacht zu haben, geradezu ein ehrenzeichen war, so scheint diese ära zu ende zu gehen. die ehemaligen betrauern das.
die lehrerschaft, traditionell teilweise geradezu skurrile originale, sei komplett ausgetauscht, heißt es. griechisch ist inzwischen nicht mehr pflicht, das zentralabitur wirft seine tiefen schatten.
als mutter einer ehemaligen kwr-abiturientin denke ich mit großer liebe an die schulzeit dort zurück. nachdem die tochter den härtesten autonomen hannoverschen kinderladen glockseestrolche überstanden hatte, kam sie in die grundschule goetheplatz mit 19 anderen nationen. den bildungsbürger-freunden sträubten sich wiederholt die haare, sie wollten mein kind beispielsweise im schonraum der waldorfschule aufgehoben wissen. aber auch die gs goetheplatz war schon eine herrliche zeit, unter anderem, weil die ausländischen mammas zu jedem schulfest unvergleichlich köstliche speisen servierten. und wegen der schutzgelderpressung sprach die sanfte lehrerin karin heckler ein ernstes wort mit benny. und dann war's erledigt.
den alternativen unter den freunden wiederum war völlig klar, das kind müsse nun auf die integrierte gesamtschule linden. ich sah mir die schule auch an, anlässlich der einschulung eines nachbarkindes - es lag dicker staub auf den lampen der aula. nun gut, das wäre noch zu tolerieren. aber dann sang der chor, kläglich, jämmerlich, nur jonas danestibar-talebi aus unserem autonomen kinderladen schmetterte schön laut, der rest öffnete den mund gar nicht wirklich. die igs linden in der nähe fiel also aus.
blieb nur noch das kwr im vornehmen zoo-viertel, nachdem das ratsgymnasium nähe maschsee, die schule des hannoverschen rates, in das viele hannoversche dichter und persönlichkeiten gegangen waren, aufgelöst worden war (die aktion nehme ich enno hagenah von den grünen heute noch übel).
das kwr also, zusammengefasst nun aus dem aufgelösten rats- und dem kaiser-wilhelm-gymnasium in dem viertel mit den vielen generalsnamen, das war mir zutiefst zuwider. aber nachträglich muss ich sagen, dass ich als berufstätige mutter selten irgendwoanders derart respektvoll behandelt wurde. der damalige rektor, dr. rademacher, äußerlich und in der diktion an einen feuerzangenbowlen-typus erinnernd, akzeptierte mich als haushaltsvorstand, und als das zeitungswesen in die krise kam, war er der einzige, der sich mitfühlend bei mir erkundigte, ob ich denn mit der situation wirtschaftlich zurecht käme.
aber nicht nur er hat einen festen platz in meinem herzen. vor allem deutschlehrer lutz saint-paul wohnt an vorderster stelle. meine tochter war derart gut in deutsch, dass sie keinen leistungskurs wählte sondern den grundkurs bei saint-paul. welche eine kluge wahl!
aufgrund des fehlenden leistungszwanges gestaltete er den kurs zu einer muße-stunde der literarischen kleinodien und die tochter las zuhause zur teestunde regelmäßig vor: schach von wutenow von theodor fontane - die story des soldatischen mannes, der zur erhaltung der ehre dezent selbstmord begeht; oder bartleby, der schreiber, von hermann melville - jene subversive geschichte der lebens- und leistungsverweigerung in den lichtlosen büros von wallstreet; untersuchung an mädeln von albert drach, der die geilheit der richter darstellt; grillparzers armer spielmann, der sein musikinstrument kunstlos spielte, aber voller liebe.
danach kommt gleich renate germann, evangelische religionslehrerin, die das wissen einer professorin besaß, pädagogisch aber ergreifend ungeschickt war, im unterricht dennoch voller wundervoller, ebenso überraschender wie fundierter, bezüge zur jüdischen und orientalischen geschichte, so dass ich dann schonmal zuhause beim mittagsschläfchen einiges zum deuteronomistischen dekalog beiläufig zu hören bekam.
Auch joachim tamm, herr szambien, beide mathelehrer, die die mathematik ebenso liebten wie die kinder, waren klasse. bei szambien gab's tee und tangram in der mathe ag. nicht zu vergessen das etwas hölzerne superhirn in griechisch und latein, marianne trattner, bei der frau aber wirklich was lernte.
philosoph bernhard taureck schwelgte in literarisch vielsprachigen ego-trips, das konnten manche schüler nicht so gut ab, brachte aber andererseits zauberhafte szenische darstellungen mit den schülerInnen zustande, ein begnadeter moderator. peter meuer berichtete in politik auch von seinen familiären problemen. und so weiter und so fort.
und dann, last but not least, die musikalischen darbietungen, die trieben dem publikum tränen der verzückung in die augen, derart begabt waren schülerInnen wie lehrerInnen wie eltern.
das war also schon eine tolle schule. der einzige nachteil: die zwanghafte coolness und arroganz der reichen kids, deren eltern selbstredend obligatorisch in diesem humanistisch-altsprachlichen gymnasium "arbeiten ließen"; die permanente abgrenzung, wer am besten aussieht, die klassengesellschaftliche abgrenzung zu anderen und schnelle abqualifizierung anderer als abgewrackt usw., diese zwänge waren unangenehm.
dennoch: das kwr, für mich als mutter die erfahrung als schule der schulen in niedersachsen, wenn denn schon überhaupt schule sein muss.
Das scheint jetzt aber nur noch nostalgie zu sein. schade.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hmm, als einer der Ehemaligen bin ich natürlich nicht erfreut, so was zu erhfahren. Schade nur, dass die Autorin so wenig Belege für ihre Behauptungen anführt. Das scheint mir allerdings arg subjektiv. Auf Frau Germann lasse ich nichts kommen, ihr verdanke ich mein gutes Englisch, das mehr als eine ausgezeichnete Basis war und mir von mehreren Muttersprachlern inzwischen bestätigt wurde. Ergreifend ungeschickt? Sie hatte ihre Klasse im Griff, ohne unmenschlich zu werden, sie wusste sich durch Kompetenz und Gerechtigkeit Respekt und Achtung zu verschaffen.

Der Klassenunterschied oder ein gewisser Dünkel auch bei den Kindern war in der Tat spürbar. Wenn sich dies aber verändert haben sollte, so ist das ja kein Niedergang.

Alles in allem eher ägerlich als erleuchtend.

Anonym hat gesagt…

Witzig, überhaupt mal so einen Beitrag zu lesen. Ich stamme noch aus der Zeit des Kaiser-Wilhelm-Gymnasiums. War in der nur Jungs a-Klasse.
Stärkste Erinnerungen : Hr. Szambien, den ich gerne nochmal sprechen würde und Hr. Nöldecke (griechisch), der eben manchmal von sich gab : 'Jörg! Schreib auf : 100 mal die heutigen Vokabeln.
Den beschriebenen Standesdünkel habe ich so nicht empfunden.
Wohl aber Mobbing von Mitschülern.
Aber das geschieht ja an jeder Schule.
Wer was beitragen will :
JoergPassner(at)GMX.de