Klinisch unauffällige Nachkommen infizierter Mütter können unter Spätfolgen leiden.
10. September 2018
Totgeburten, neurologische Störungen, Gehirnmissbildungen
– wenn Zikaviren Schwangere infizieren, kann das für ihre Nachkommen
schwere Folgen haben. In Gebieten, in denen Zikaviren in der Bevölkerung
weit verbreitet sind, wie beispielsweise in Südamerika, sind jedoch
mehr als neunzig Prozent aller Neugeborenen klinisch
unauffällig. Ob bei diesen vermeintlich gesunden Neugeborenen
infizierter Mütter im Laufe ihres Lebens doch noch gesundheitliche
Beeinträchtigungen auftreten, untersuchte nun ein internationales
Forscher-Team um Professorin Dr. Gülsah Gabriel, Leiterin der
Abteilung „Virale Zoonosen – One Health“ am Heinrich-Pette-Institut
(HPI) und an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo). Dazu
studierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem
das Verhalten, die Gedächtnisleistung und die
Gewebeveränderungen von Mäusen, deren Mütter während der Trächtigkeit
eine milde Infektion mit dem Zikavirus durchlebt hatten. Das Ergebnis:
Scheinbar gesunde Nachkommen zeigten ein erhöhtes Risiko, im
Erwachsenenalter neurologische Störungen zu entwickeln.
Dies galt insbesondere für die männlichen Mäuse. Die Studie erschienen
nun im renommierten Fachmagazin Nature Microbiology.
Über das Zikavirus
Meist
durch Mücken von Mensch zu Mensch übertragen, löst das Zikavirus bei
Erwachsenen vorübergehend leichte unspezifische Symptome wie
Hautausschlag,
Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen oder Fieber aus. Infektionen während
der Schwangerschaft können zu Fehlgeburten oder neurologischen
Störungen bei den Neugeborenen führen. Über die Langzeiteffekte bei
vermeintlich gesunden Kindern, deren Mütter während der
Schwangerschaft mit dem Zikavirus infiziert waren, war bislang wenig
bekannt. Mithilfe eines Schwangerschaftsmodells in der Maus, das Gabriel
mit ihrem Team etablierte, konnten verschiedene Arbeitsgruppen die
Nachkommen infizierter Muttertiere hinsichtlich
zahlreicher Gesichtspunkte untersuchen.
Gewebeveränderungen und Gedächtnisstörungen
Die
Arbeitsgruppe von Professor Dr. Wolfgang Baumgärtner, Leiter des
Instituts für Pathologie der TiHo, untersuchte Gewebeproben aus den
Gebärmuttern
der trächtigen infizierten Mäuse sowie aus dem Gehirn der Nachkommen
infizierter Muttertiere und verglich die Gewebeveränderungen mit denen
nicht infizierter Tiere. „So konnten wir beispielsweise zeigen, dass
Zikaviren insbesondere in Zellen vorkamen, die
in der Grenzzone zwischen mütterlichem Gewebe und Embryo liegen. Zudem
stellten wir in den virusinfizierten Regionen der Gebärmutter
ausgedehnte Zelluntergänge fest“, berichtet Baumgärtner. Diese
Veränderungen könnten dazu führen, dass der Fetus während der
Trächtigkeit nicht ausreichend versorgt wird und dadurch entweder
geschädigt wird oder sogar abstirbt.
Auch
bei den Nachkommen konnten die Pathologinnen und Pathologen der TiHo
Veränderungen identifizieren: „Wir konnten Zikaviren im Gehirn der
Neugeborenen
nachweisen und vermuten, dass diese dort auch Schäden anrichten“, so
Baumgärtner. Denn das Forscher-Team stellte fest: Am Tag ihrer Geburt
wiesen infizierte Mäuse mehr zerstörte Gehirnzellen auf als ihre nicht
infizierten Artgenossen. „Insbesondere die für
die Gedächtnisbildung zuständige Region des Hippocampus schien
betroffen zu sein“, berichtet Baumgärtner. Da weitere Untersuchungen
zeigten, dass männliche Nachkommen infizierter Mütter deutlich höhere
Werte des Sexualhormons Testosteron aufwiesen als Nachkommen
von nicht infizierten Müttern, suchten die Forscherinnen und Forscher
auch nach geschlechtsspezifischen Unterschieden – und wurden fündig:
„Testosteron spielt eine wichtige Rolle in der embryonalen Entwicklung
des Nervensystems. Daher konnten wir bei den männlichen
Nachkommen infizierter Mütter stärkere pathologische Veränderungen im
Hippocampus nachweisen als bei den weiblichen Tieren“, so Baumgärtner.
Ob
die genannten Gewebeveränderungen das Verhalten sowie die
Lernstrategien bei den ausgewachsenen Nachkommen beeinträchtigen können,
untersuchte
Professor Dr. Wolfgang Löscher, Leiter des Instituts für Pharmakologie,
mit seinem Team. Er berichtet: „Wir konnten zeigen, dass vor allem bei
männlichen Mäusen die Lern- und Gedächtnisleistung eingeschränkt war. Um
Probleme zu lösen, nutzten die Tiere Strategien,
die darauf hinweisen, dass sie auf die Funktionen des Hippocampus nicht
zurückgreifen konnten.“
Fazit
Die
Ergebnisse aller beteiligten Arbeitsgruppen unterstützen die Annahme,
dass eine milde mütterliche Zikavirus-Infektion während der frühen
Embryonalentwicklung die Entwicklung
des Fetus im Uterus beeinflusst. Nachkommen, die bei der Geburt
klinisch unauffällig erscheinen, können infolgedessen im
Erwachsenenalter an neuronalen Anomalien sowie an Lern- und
Gedächtnisschwächen leiden. „Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig es
gerade
bei zunächst unauffälligen Kindern von mit dem Zikavirus infizierten
Müttern ist, ein gezieltes und geschlechtsspezifisches Monitoring
durchzuführen“, erklärt Gabriel.
Die Originalpublikation
Male offspring born to mildly ZIKV-infected mice are at risk of developing neurocognitive disorders in adulthood.
Stephanie
Stanelle-Bertram, Kerstin Walendy-Gnirß, Thomas Speiseder, Swantje
Thiele, Ivy Asantewaa Asante, Carola Dreier, Nancy Mounogou Kouassi,
Annette Preuß,
Gundula Pilnitz-Stolze, Ursula Müller, Stefanie Thanisch, Melanie
Richter, Robin Scharrenberg, Vanessa Kraus, Ronja Dörk, Lynn Schau,
Vanessa Herder, Ingo Gerhauser, Vanessa Maria Pfankuche, Christopher
Käufer, Inken Waltl, Thais Moraes, Julie Sellau, Stefan
Hoenow, Jonas Schmidt-Chanasit, Stephanie Jansen, Benjamin Schattling,
Harald Ittrich, Udo Bartsch, Thomas Renné, Ralf Bartenschlager, Petra
Arck, Daniel Cadar, Manuel A. Friese, Olli Vapalahti, Hanna Lotter, Sany
Benites, Lane Rolling, Martin Gabriel, Wolfgang
Baumgärtner, Fabio Morellini, Sabine M. Hölter, Oana Amarie, Helmut
Fuchs, Martin Hrabe de Angelis, Wolfgang Löscher, Froylan Calderon de
Anda and Gülsah Gabriel
Nature Microbiology (2018), DOI: 10.1038/s41564-018-0236-1
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