Traumberuf
Journalistin
Ein biografischer Rückblick zum Jahreswechsel von IP
Die Freiheit. Wann verloren, wann wiedergewonnen? Redakteur
J., der von seiner angeblich verrückten Frau zuhause erzählte, gab mir den
ersten Auftrag bei der Provinz-Presse. Weiß nicht mehr, ob ich damals ein
Honorar für den ersten Artikel bekam. Ging noch zur Schule und der Journalismus
faszinierte mich derart, dass ich den Weg zum Abitur aufgab und gleich bei der
Presse anheuerte. Kannte die Bezeichnung "Überflieger" damals noch nicht.
Interessant war die Freiheit, denn Liebe ist ein Kind der
Freiheit. Sie entstand für mich auch in Person des versoffenen Redakteurs M..
Der ließ mich machen, was ich wollte, solange er seinen Amselfelder Spätburgunder hatte.
Es gab immer und stets und jeden Tag in der Redaktion Rotwein.
Oft kam ich nachmittags nachhause und meine Mutter konstatierte eine Fahne bei
mir, obwohl ich recht wenig davon mitgetrunken hatte.
Wenn ich keine Lust hatte, etwas am Fernschreiber zur
Zentrale zu geben, setzte ich mich raus auf eine Bank in der Einkaufspassage.
M. bat mich dann nach einer Weile, doch wieder hinein zu kommen.
Es war eine Bohème, wurde endgültig dazu, als ein ebenso trinkfreudiger
Volontär hinzustieß, mit dem wir verrückte Feten feierten. Tanzte Ausdruckstanz
vor den beiden, schrieb M.s literarische
Arbeitererotische Texte zur Veröffentlichung ins Reine, schlug vor, Gedichte in
der Dose anzufertigen. Einige davon bewahrt der ehemalige Volontär wohl noch
heute auf. Neidisch scheuerte er mir mal eine. Aber am nächsten Tag kamen die
beiden zu meinen Eltern und entschuldigten sich.
Der Volontär äußerte die Absicht, Schriftsteller zu werden.
Fand den Gedanken so ungeheuer kühn, dass ich mich auf der Stelle in ihn verguckte. Dichter und Denker wollte auch ich werden, wagte es aber nicht einmal zu denken. Schriftsteller sein kam in meiner Kleinbürgerfamilie nicht vor. Die Eltern wünschten mich als Angestellte der Stadtverwaltung zu sehen.
Fand den Gedanken so ungeheuer kühn, dass ich mich auf der Stelle in ihn verguckte. Dichter und Denker wollte auch ich werden, wagte es aber nicht einmal zu denken. Schriftsteller sein kam in meiner Kleinbürgerfamilie nicht vor. Die Eltern wünschten mich als Angestellte der Stadtverwaltung zu sehen.
Wir gingen zusammen zu Brecht-Aufführungen. Er erzählte von
einem Flohmarkt und ich aktivierte meinen gesamten Freundeskreis, um auch in
unserer Arbeiterstadt (Hüttenwerke) einen solchen ins Leben zu rufen. (Inge hat den
Flohmarkt in S. begründet, erzählte mein Vater später meinen Geschwistern.)
Seine exaltierte Künstlerschwester nahm uns mit nach Berlin.
Tanzte dort in einem Klub mit jemand, der mir Texte von Rilke ins Ohr raunte.
Wie ich die fände? Fand sie wunderbar, sie begründeten meinen Hang zu
Rilke, und ich wollte nicht mehr aufhören, mit dem Fremden zu tanzen, bis der
Volontär und seine Schwester mich ermahnten, ob ich allein in Berlin
zurückbleiben wolle.
Verfasste schon vor dieser Zeit ein erstes
Theaterstück, inspiriert durch Fernando Arabal. Als dann ein freier Journalist
aus Hamburg und zeitweiser Mitarbeiter der Redaktion das Stück lesen wollte,
behielt er es einfach gleich ein, ich könne ja mal berühmt werden…
Und dann wurde M. wegen des Alkoholismus entlassen. Der neue
Redaktionschef war auch musisch interessiert, ein Komponist, reagierte aber
eifersüchtig, als ich einen Bericht über den Kunstverein geschrieben hatte. Er
ließ mich zur Ordnung rufen, ich solle mich auf meine eigentlichen Aufgaben im
Büro konzentrieren. Und fantasierte als ein mit seiner Mutter zusammen lebender von Amouren mit einer 13jaehrigen.
Heulte Rotz und Wasser - nicht das letzte Mal in einem
solchen Zusammenhang - machte mich aber
umgehend auf in die Zentrale, um den neuen Chefredakteur H. aufzusuchen, der
ein offenes Ohr für meine Wünsche hatte. Durfte trotz meiner Jugend in die
Großstadt wechseln und war 100% glücklich.
Bald darauf verunglückte dieser Chefredakteur tödlich, der gute
Ideen zur Presse-Popularisierung realisiert hatte. Er behielt für ewig
einen Platz in meinem Herzen.
Bereits in S. mobbten mich freie Mitarbeiter und andere wiederholt, meine Artikel hätte ich sicher irgendwo abgeschrieben.So ging das dann auf höherer
Ebene weiter. Landete mit meiner Hoppla-Jetzt komm ich-Attitüde erstmal
kräftig auf der Nase. Jedenfalls was die Kollegen betraf. Die obersten Chefs
lobten meine Arbeit in den Konferenzen und gaben mir außergewöhnliche Aufgaben.
Aber der aus der Konferenz kommende Redakteur giftete mich angewidert an: Für
Sie habe ich soeben ein Lob bekommen…
Ich wusste nicht, was los war, verstand es nicht. Heute, viele
Jahrzehnte später, wird einiges klarer. Was mir damals vor allem abging, war
das von Volontärinnen erwartete auf dem Schoß sitzen bei den Redakteuren, das
Flirten, der ganze erotische Kram. Überhaupt Unterwürfigkeit jeder Art. War bis
zum 8. Lebensjahr Einzelkind, lebenslang ohne Brüder, viel auf Reisen, und der
Star meiner Eltern. Flirten habe ich bis heute nicht gelernt. Das führte dazu,
dass, wenn die Redakteure und Redakteurinnen feiern wollten, sie so lange
warteten, bis ich verstanden hatte, dass ich den Raum zu verlassen habe. Auch
der für seine menschenschinderische Art bekannte Bezirke-Chef traktierte mich.
Eine damals politisch links gerichtete promiske Kollegin kritisierte, dass ich
jeden Tag die Zeitung mit trivialem Zeug vollschriebe. Mir war’s halt langweilig,
aber manche Texte gelangen wirklich gut. Hatte ein Ideen-Büchlein, über das
sich eine andere Kollegin schier totlachte. Zu Volontärsseminaren meldete mich
eine weitere nicht an, weil sie eigentlich auf meinen Platz im Feuilleton
spekuliert hatte. Ein Rundfunkreporter erklärte mir später, bei seinem Sender
sei es noch viel schlimmer mit den Intrigen. Er habe sich seine Tür polstern
lassen, damit die Nachbarn nicht hören, wie er am Boden liege und jammere.
Fragte zu wenig dumme Fragen, war nicht devot genug. Ganze
Seiten, für die ich aus dem Stand ohne jegliche Unterweisung verantwortlich
war, gab ich einfach so in Satz. Die Metteure mochten mich, und erklärten mir
nach der ersten Seite Übersatz, wie ich das besser machen könne.
Der Verlobte war mir gefolgt, konnte aber bei den
beruflichen Mobbing-Schwierigkeiten nicht helfen. Meine Elternfamilie war seit
längerem im fernen Indien, die Familie des mir vor Abreise der Angehoerigen schnell An-Verlobten mochte ich nicht.
Und da kam dann der Punkt, wo ich mich selbst verließ. Da
meine Art so schlecht ankam, begann ich mich anzupassen bis zur Selbstaufgabe. Blieb
nun zu den Partys länger in der Redaktion, wo schließlich jemand mir
vorschlug, mit in seine sogenannte Selbstständigkeit einzutreten. Er flog dann
aufgrund dieser Abwerbung hochkantig raus. Die Zeitung war sein
Hauptauftraggeber. Und ich hatte nun seine samt Hausständen zurückgelassenen Familien mit zu
verkraften. Es begann eine permanente Gehirnwäsche: Wie toll ich sei, was für
eine tolle Unternehmerin usw..
War verloren, für die Kunst jedenfalls, für
Partnerschaft und Glück. Das hielt über viele Jahrzehnte an, bis
dieser Mann schließlich verstarb.
Erst da tauchte ich plötzlich wieder auf. Zwar ohne Geld und Ansehen, keiner Würdigung meiner zwischenzeitlichen
gigantischen Leistungen in Sachen publizistischer Einmischung, aber das
Selbstwertgefühl war immer noch nicht abgestorben nach all der Zeit. Ich konnte
wieder bei mir selbst bleiben, wenn auch geächtet und isoliert.
Frohes Neues!
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