Dienstag, 2. Januar 2018

Frauen in Redaktionen Ende der 60er-Jahre



Traumberuf Journalistin

Ein biografischer Rückblick zum Jahreswechsel von IP

Die Freiheit. Wann verloren, wann wiedergewonnen? Redakteur J., der von seiner angeblich verrückten Frau zuhause erzählte, gab mir den ersten Auftrag bei der Provinz-Presse. Weiß nicht mehr, ob ich damals ein Honorar für den ersten Artikel bekam. Ging noch zur Schule und der Journalismus faszinierte mich derart, dass ich den Weg zum Abitur aufgab und gleich bei der Presse anheuerte. Kannte die Bezeichnung "Überflieger" damals noch nicht.
Interessant war die Freiheit, denn Liebe ist ein Kind der Freiheit. Sie entstand für mich auch in Person des versoffenen Redakteurs M.. Der ließ mich machen, was ich wollte, solange er seinen Amselfelder Spätburgunder hatte.
Es gab immer und stets und jeden Tag in der Redaktion Rotwein. Oft kam ich nachmittags nachhause und meine Mutter konstatierte eine Fahne bei mir, obwohl ich recht wenig davon mitgetrunken hatte.
Wenn ich keine Lust hatte, etwas am Fernschreiber zur Zentrale zu geben, setzte ich mich raus auf eine Bank in der Einkaufspassage. M. bat mich dann nach einer Weile, doch wieder hinein zu kommen.
Es war eine Bohème, wurde endgültig dazu, als ein ebenso trinkfreudiger Volontär hinzustieß, mit dem wir verrückte Feten feierten. Tanzte Ausdruckstanz vor den beiden, schrieb M.s  literarische Arbeitererotische Texte zur Veröffentlichung ins Reine, schlug vor, Gedichte in der Dose anzufertigen. Einige davon bewahrt der ehemalige Volontär wohl noch heute auf. Neidisch scheuerte er mir mal eine. Aber am nächsten Tag kamen die beiden zu meinen Eltern und entschuldigten sich.
Der Volontär äußerte die Absicht, Schriftsteller zu werden.
Fand den Gedanken so ungeheuer kühn, dass ich mich auf der Stelle in ihn verguckte. Dichter und Denker wollte auch ich werden, wagte es aber nicht einmal zu denken. Schriftsteller sein kam in meiner Kleinbürgerfamilie nicht vor. Die Eltern wünschten mich als Angestellte der Stadtverwaltung zu sehen.
Wir gingen zusammen zu Brecht-Aufführungen. Er erzählte von einem Flohmarkt und ich aktivierte meinen gesamten Freundeskreis, um auch in unserer Arbeiterstadt (Hüttenwerke) einen solchen ins Leben zu rufen. (Inge hat den Flohmarkt in S. begründet, erzählte mein Vater später meinen Geschwistern.)
Seine exaltierte Künstlerschwester nahm uns mit nach Berlin. Tanzte dort in einem Klub mit jemand, der mir Texte von Rilke ins Ohr raunte. Wie ich die fände? Fand sie wunderbar, sie begründeten meinen Hang zu Rilke, und ich wollte nicht mehr aufhören, mit dem Fremden zu tanzen, bis der Volontär und seine Schwester mich ermahnten, ob ich allein in Berlin zurückbleiben wolle.
Verfasste schon vor dieser Zeit ein erstes Theaterstück, inspiriert durch Fernando Arabal. Als dann ein freier Journalist aus Hamburg und zeitweiser Mitarbeiter der Redaktion das Stück lesen wollte, behielt er es einfach gleich ein, ich könne ja mal berühmt werden…
Und dann wurde M. wegen des Alkoholismus entlassen. Der neue Redaktionschef war auch musisch interessiert, ein Komponist, reagierte aber eifersüchtig, als ich einen Bericht über den Kunstverein geschrieben hatte. Er ließ mich zur Ordnung rufen, ich solle mich auf meine eigentlichen Aufgaben im Büro konzentrieren. Und fantasierte als ein mit seiner Mutter zusammen lebender von Amouren mit einer 13jaehrigen.
Heulte Rotz und Wasser - nicht das letzte Mal in einem solchen Zusammenhang  - machte mich aber umgehend auf in die Zentrale, um den neuen Chefredakteur H. aufzusuchen, der ein offenes Ohr für meine Wünsche hatte. Durfte trotz meiner Jugend in die Großstadt wechseln und war 100% glücklich.
Bald darauf verunglückte dieser Chefredakteur tödlich, der gute Ideen zur Presse-Popularisierung realisiert hatte. Er behielt für ewig einen Platz in meinem Herzen.

Bereits in S. mobbten mich freie Mitarbeiter und andere wiederholt, meine Artikel hätte ich sicher irgendwo abgeschrieben.So ging das dann auf höherer Ebene weiter. Landete mit meiner Hoppla-Jetzt komm ich-Attitüde erstmal kräftig auf der Nase. Jedenfalls was die Kollegen betraf. Die obersten Chefs lobten meine Arbeit in den Konferenzen und gaben mir außergewöhnliche Aufgaben. Aber der aus der Konferenz kommende Redakteur giftete mich angewidert an: Für Sie habe ich soeben ein Lob bekommen…
Ich wusste nicht, was los war, verstand es nicht. Heute, viele Jahrzehnte später, wird einiges klarer. Was mir damals vor allem abging, war das von Volontärinnen erwartete auf dem Schoß sitzen bei den Redakteuren, das Flirten, der ganze erotische Kram. Überhaupt Unterwürfigkeit jeder Art. War bis zum 8. Lebensjahr Einzelkind, lebenslang ohne Brüder, viel auf Reisen, und der Star meiner Eltern. Flirten habe ich bis heute nicht gelernt. Das führte dazu, dass, wenn die Redakteure und Redakteurinnen feiern wollten, sie so lange warteten, bis ich verstanden hatte, dass ich den Raum zu verlassen habe. Auch der für seine menschenschinderische Art bekannte Bezirke-Chef traktierte mich. Eine damals politisch links gerichtete promiske Kollegin kritisierte, dass ich jeden Tag die Zeitung mit trivialem Zeug vollschriebe. Mir war’s halt langweilig, aber manche Texte gelangen wirklich gut. Hatte ein Ideen-Büchlein, über das sich eine andere Kollegin schier totlachte. Zu Volontärsseminaren meldete mich eine weitere nicht an, weil sie eigentlich auf meinen Platz im Feuilleton spekuliert hatte. Ein Rundfunkreporter erklärte mir später, bei seinem Sender sei es noch viel schlimmer mit den Intrigen. Er habe sich seine Tür polstern lassen, damit die Nachbarn nicht hören, wie er am Boden liege und jammere.
Fragte zu wenig dumme Fragen, war nicht devot genug. Ganze Seiten, für die ich aus dem Stand ohne jegliche Unterweisung verantwortlich war, gab ich einfach so in Satz. Die Metteure mochten mich, und erklärten mir nach der ersten Seite Übersatz, wie ich das besser machen könne.
Der Verlobte war mir gefolgt, konnte aber bei den beruflichen Mobbing-Schwierigkeiten nicht helfen. Meine Elternfamilie war seit längerem im fernen Indien, die Familie des mir vor Abreise der Angehoerigen schnell An-Verlobten mochte ich nicht.

Und da kam dann der Punkt, wo ich mich selbst verließ. Da meine Art so schlecht ankam, begann ich mich anzupassen bis zur Selbstaufgabe. Blieb nun zu den Partys länger in der Redaktion, wo schließlich jemand mir vorschlug, mit in seine sogenannte Selbstständigkeit einzutreten. Er flog dann aufgrund dieser Abwerbung hochkantig raus. Die Zeitung war sein Hauptauftraggeber. Und ich hatte nun seine samt Hausständen zurückgelassenen Familien mit zu verkraften. Es begann eine permanente Gehirnwäsche: Wie toll ich sei, was für eine tolle Unternehmerin usw..
War verloren, für die Kunst jedenfalls, für Partnerschaft und Glück. Das hielt über viele Jahrzehnte an, bis dieser Mann schließlich verstarb.
Erst da tauchte ich plötzlich wieder auf. Zwar ohne Geld und Ansehen, keiner Würdigung meiner zwischenzeitlichen gigantischen Leistungen in Sachen publizistischer Einmischung, aber das Selbstwertgefühl war immer noch nicht abgestorben nach all der Zeit. Ich konnte wieder bei mir selbst bleiben, wenn auch geächtet und isoliert.
Frohes Neues!


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