hier spricht Ingeburg:
„Zum Internationalen Frauentag bin ich traurig über die Lage
der Frauen im 21. Jahrhundert. Sind sie alt, tragen sie ihre Falten wie einen
Judenstern auf der Stirn und können froh sein, wenn man ihnen die Benutzung einer
Gaststättentoilette gewährt, während 78jährige Männer Präsidentschaftskandidaturen
anstreben. Sind Sie jung, nimmt ihnen das neue Familienrecht schnell die Kinder
weg. Zwar sind sie fast alle berufstätig, aber nur in unteren Positionen und schlecht bezahlt.
Du
kennst es ja zur Genüge, gemobbt und verleugnet zu werden, wenn man sooo viel
geleistet hat für die Stadt, für das Land, aber als Frau hat das noch ganz
andere Dimensionen. Du konntest noch Newton korrigieren, welche deiner
Erfindungen er für sich fälschlicherweise reklamierte. Ich brauche mich nirgendwo
zu melden, werde sofort abgebürstet.“
Gottfried Wilhelm: „Das tut mir leid. Meine Gönnerin Sophie
hatte es da als Adelige besser. Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie Dich das
schmerzt. Zum Beispiel wird in Herrenhausen dauernd Konzertmusik dieses Händel
aufgeführt, die Feste werden zu Ehren der falschen Person gefeiert. Sein
Beitrag am Hof in Hannover beschränkte sich doch auf einige Musiken, und das
ist noch nichteinmal bewiesen. Im Gegensatz zu mir durfte er ununterbrochen
reisen und erhielt dennoch die Entlohnung und später noch einige zusätzliche
von der englischen Königin, ohne dass er ständig in England tätig gewesen wäre."
Ingeburg: „Händels Musik hat häufig so eine marschmäßige
Grabesstimmung. Sie passt zu jeder Beerdigung.“
Gottfried Wilhelm: „Genau so ist es. Unter 100 Melodien
kann ich kaum eine oder zwei antreffen, die ich ausdrucksvoll oder edel finde,
und ich habe oft bemerkt, dass das, was die Fachleute am meisten schätzen,
nichts Ergreifendes besaß. Bei aller Bescheidenheit, bei allem, was ich 34
Jahre lang für Hannover getan habe, das hätte ein Fest zu meinen Ehren verdient…“
Ingeburg: „Auf jeden Fall. Dein Name loderte bespielsweise
kurz wie ein Strohfeuer auf, als ich im Stadtbezirksrat mein
DichterDenkerProjekt vorgetragen hatte. Da fuhren dann ein paar mit
Leibniz-Porträts beklebte Straßenbahnen durch Hannover und es gab eine Bäume gefährdende dümmliche Aktion‚Leibniz lebt‘, aber niemand machte sich die Mühe
des genauen Studiums deiner Texte.
Und wie lange dauerte es, bis endlich unsere Universität
Leibniz-Universität genannt wurde, und die Landesbibliothek Leibniz-Bibliothek,
während gleichzeitig die geisteswissenschaftlichen Fächer vor die Hunde gingen.“
Gottfried Wilhelm: „Kurfürstin Sophie, der die Hannoveraner
den Großen Garten zu verdanken haben, hat mich verstanden. Was wären wir
Gelehrte ohne euch Frauen! Sophie und ihre Tochter haben mir immer zugehört.
Wissen Sie, ich muss die Leute im Gespräch von meinen Ideen überzeugen. Aber machen Sie das mal in Hannover, wo man schon 50
Jahre gebraucht hat, um über meiner Gruft in der Neustädter Hof- und
Stadtkirche St. Johannis eine Kupferplatte mit meinem Namen anzubringen und
nochmal 20 Jahre, um mir ein Denkmal zu setzen.“
Ingeburg: „Bis zu meinem DichterDenkerProjekt hat die
Kirchenvorsteherin nur sehr beiläufig und ohne Hintergrundwissen dein Grab
erwähnt. Das hat sich jetzt geändert. Auch weil so viele gebildete Touristen
aus aller Welt nach dem Grab fragten. Sogar der Prinz von Hannover schmückt
sich nun mit einer Leibniz-Patenschaft, wo dich sein Königshaus doch damals
mehr oder weniger verscharren ließ, nicht einer kam zur Beerdigung.
Meine Tochter habe ich zu ihrer Konfirmation mit den Gästen
zum Fotografieren vor deine Grabplatte dirigiert, des Glöwenichts. Der Pastor
protestierte und wollte vor den Altar, aber ich ignorierte sein Bemühen.“
Gottfried Wilhelm: „Am Nachhaltigsten erinnern sich die
Leute in dieser Stadt an mich, wenn sie an Kekse denken. Dabei ist da noch
etwas Wahres daran, denn ich habe Süßigkeiten geliebt, sogar meinen Wein habe
ich gezuckert. Auch damit war ich meiner Zeit weit voraus."
Ingeburg: „Auf den Leibniz-Keks gehören Aussprüche von dir geprägt, zum Beispiel „Semper
sursum revertor“, mein Lieblingssatz, ähnlich genial wie Rosa Luxemburgs
'Ich
war und bin und werde sein'. Habe dies schon in meinem Blog vorgeschlagen, aber
im Internet gehst du heute im Information-Overkill erst recht unter und wirst beklaut nach Strich und Faden.“
Gottfried Wilhelm: „Damen von höchstem Rang haben den Umgang
mit mir sehr geschätzt. Als ich fünfzig war, hatte ich sogar den Plan einer
Heirat ins Auge gefasst. Aber die Person, auf die ich meine Blicke gerichtet
hatte, wollte sich erst bedenken. Da habe ich es vorgezogen, mich wieder
zurückzuziehen. Man sah vielleicht nicht auf den ersten Blick, was in mir
steckte, da ich weder apparenz und exterier noch eloquenz und promptitude
hatte.“
Ingeburg: "Gern hätte auch ich mich mit Ihnen
unterhalten. Stattdessen tat ich es mit Leibniz-Forscher Heinekamp, der mich
aber nicht in den Tresor im Keller der heutigen Leibniz-Bibliothek schauen
ließ, um deine Originalschriften zu sehen, obwohl er sich doch so positiv über
meine Intelligenz geäußert hatte. Er selbst nahm bestimmt einige dieser
Manuskripte mit nachhause – und dort wurde er eines Tages tot aufgefunden –
auch so ein Hagestolz wie du. Da lief dann in meiner Phantasie ab: Was, wenn man einige Leibniz-Manuskripte später in einer Privatbibliothek à la
J.P. Morgan auffinden würde, die bereits jede Menge Schätze an
Originalschriften und –noten beherbergt, die dort nicht hingehören.“
Gottfried Wilhelm: „Ja Madame, auch ich hätte gern mit Ihnen
parliert und Ihnen gewisse Türen zur Anerkennung öffnen können, zum Beispiel für Ihre Interventionen an geeigneter Stelle gegen Deutschlands Teilnahme am Irak-Krieg. Chapeau. Und pardon, sagten Sie Leibniz-Kirche?"
Ingeburg: „Eine treffende Kurzbezeichnung von mir, die geldgierigen
Monarchen jedoch bestehen auf dem langen Namen Hof- und Stadtkirche, obwohl wir doch
längst Republik sind."
Gottfried Wilhelm: „Meine Gedanken, Anregungen und Erfindungen sind nicht tot. Es wissen nur zu
wenige, dass sie von mir sind. Ohne meine Erfindungen wäre die Hannover-Messe
nicht das, was sie ist. Sie hätte Leibniz-Messe heißen müssen. Ohne meine
Rechenmaschine gäbe es heute keine Computer, mein Tauchboot hätte man vorführen
können, mein Schöpfwerk für die Wasserkünste. Für die Tabak- und Salzsteuer
hätten sich Delegationen der Regierungen bedanken müssen. Auch für die Idee der
Sozialversicherung und der Gesundheitsfürsorge. Aber ich will mit den Deutschen
und Hannoveranern nichts mehr zu tun haben. Mögen sie bei meinem Namen ruhig
weiter an Kekse denken.“
Ingeburg: „Mir geht es genauso, lieber Leibniz. Nur um die unzähligen hochbegabten und unterdrückten Frauen ist es mir besonders am Internationalen Frauentag schade."
Gottfried Wilhelm:" Ah, diese Schmerzen in den Beinen. Erst gestern Abend habe ich mir wieder Löschpapier auf die offenen Stellen gelegt.
Ich empfehle mich. Ich brauche Ruhe. Bonne nuit! "
Unter Verwendung einiger Informationen aus einem szenischen Leibniz-Monolog von Gerd-Rainer Prothmann
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