Samstag, 7. März 2020

INTERNATIONALER FRAUENTAG: Lieber Leibniz,



hier spricht Ingeburg:

„Zum Internationalen Frauentag bin ich traurig über die Lage der Frauen im 21. Jahrhundert. Sind sie alt, tragen sie ihre Falten wie einen Judenstern auf der Stirn und können froh sein, wenn man ihnen die Benutzung einer Gaststättentoilette gewährt, während 78jährige Männer Präsidentschaftskandidaturen anstreben. Sind Sie jung, nimmt ihnen das neue Familienrecht schnell die Kinder weg. Zwar sind sie fast alle berufstätig, aber nur in unteren Positionen und schlecht bezahlt. 
Du kennst es ja zur Genüge, gemobbt und verleugnet zu werden, wenn man sooo viel geleistet hat für die Stadt, für das Land, aber als Frau hat das noch ganz andere Dimensionen. Du konntest noch Newton korrigieren, welche deiner Erfindungen er für sich fälschlicherweise reklamierte. Ich brauche mich nirgendwo zu melden, werde sofort abgebürstet.“

Gottfried Wilhelm: „Das tut mir leid. Meine Gönnerin Sophie hatte es da als Adelige besser. Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie Dich das schmerzt. Zum Beispiel wird in Herrenhausen dauernd Konzertmusik dieses Händel aufgeführt, die Feste werden zu Ehren der falschen Person gefeiert. Sein Beitrag am Hof in Hannover beschränkte sich doch auf einige Musiken, und das ist noch nichteinmal bewiesen. Im Gegensatz zu mir durfte er ununterbrochen reisen und erhielt dennoch die Entlohnung und später noch einige zusätzliche von der englischen Königin, ohne dass er ständig in England tätig gewesen wäre."
Am Historischen Museum Hannover haben sie ein Gewimmel von Buchstaben mit einem Zitat von dir installiert, lieber Leibniz, das nur sehr schwer zu entziffern und auch dauernd beschädigt ist. ipideefoto

Ingeburg: „Händels Musik hat häufig so eine marschmäßige Grabesstimmung. Sie passt zu jeder Beerdigung.“

Gottfried Wilhelm: „Genau so ist es. Unter 100 Melodien kann ich kaum eine oder zwei antreffen, die ich ausdrucksvoll oder edel finde, und ich habe oft bemerkt, dass das, was die Fachleute am meisten schätzen, nichts Ergreifendes besaß. Bei aller Bescheidenheit, bei allem, was ich 34 Jahre lang für Hannover getan habe, das hätte ein Fest zu meinen Ehren verdient…“

Ingeburg: „Auf jeden Fall. Dein Name loderte bespielsweise kurz wie ein Strohfeuer auf, als ich im Stadtbezirksrat mein DichterDenkerProjekt vorgetragen hatte. Da fuhren dann ein paar mit Leibniz-Porträts beklebte Straßenbahnen durch Hannover und es gab eine Bäume gefährdende dümmliche Aktion‚Leibniz lebt‘, aber niemand machte sich die Mühe des genauen Studiums deiner Texte.
Und wie lange dauerte es, bis endlich unsere Universität Leibniz-Universität genannt wurde, und die Landesbibliothek Leibniz-Bibliothek, während gleichzeitig die geisteswissenschaftlichen Fächer vor die Hunde gingen.“

Gottfried Wilhelm: „Kurfürstin Sophie, der die Hannoveraner den Großen Garten zu verdanken haben, hat mich verstanden. Was wären wir Gelehrte ohne euch Frauen! Sophie und ihre Tochter haben mir immer zugehört. Wissen Sie, ich muss die Leute im Gespräch von meinen Ideen überzeugen. Aber machen Sie das mal in Hannover, wo man schon 50 Jahre gebraucht hat, um über meiner Gruft in der Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis eine Kupferplatte mit meinem Namen anzubringen und nochmal 20 Jahre, um mir ein Denkmal zu setzen.“

Ingeburg: „Bis zu meinem DichterDenkerProjekt hat die Kirchenvorsteherin nur sehr beiläufig und ohne Hintergrundwissen dein Grab erwähnt. Das hat sich jetzt geändert. Auch weil so viele gebildete Touristen aus aller Welt nach dem Grab fragten. Sogar der Prinz von Hannover schmückt sich nun mit einer Leibniz-Patenschaft, wo dich sein Königshaus doch damals mehr oder weniger verscharren ließ, nicht einer kam zur Beerdigung.
Meine Tochter habe ich zu ihrer Konfirmation mit den Gästen zum Fotografieren vor deine Grabplatte dirigiert, des Glöwenichts. Der Pastor protestierte und wollte vor den Altar, aber ich ignorierte sein Bemühen.“

Gottfried Wilhelm: „Am Nachhaltigsten erinnern sich die Leute in dieser Stadt an mich, wenn sie an Kekse denken. Dabei ist da noch etwas Wahres daran, denn ich habe Süßigkeiten geliebt, sogar meinen Wein habe ich gezuckert. Auch damit war ich meiner Zeit weit voraus."

Ingeburg: „Auf den Leibniz-Keks gehören  Aussprüche von dir geprägt, zum Beispiel „Semper sursum revertor“, mein Lieblingssatz, ähnlich genial wie Rosa Luxemburgs
'Ich war und bin und werde sein'. Habe dies schon in meinem Blog vorgeschlagen, aber im Internet gehst du heute im Information-Overkill erst recht unter und wirst beklaut nach Strich und Faden.“

Gottfried Wilhelm: „Damen von höchstem Rang haben den Umgang mit mir sehr geschätzt. Als ich fünfzig war, hatte ich sogar den Plan einer Heirat ins Auge gefasst. Aber die Person, auf die ich meine Blicke gerichtet hatte, wollte sich erst bedenken. Da habe ich es vorgezogen, mich wieder zurückzuziehen. Man sah vielleicht nicht auf den ersten Blick, was in mir steckte, da ich weder apparenz und exterier noch eloquenz und promptitude hatte.“

Ingeburg: "Gern hätte auch ich mich mit Ihnen unterhalten. Stattdessen tat ich es mit Leibniz-Forscher Heinekamp, der mich aber nicht in den Tresor im Keller der heutigen Leibniz-Bibliothek schauen ließ, um deine Originalschriften zu sehen, obwohl er sich doch so positiv über meine Intelligenz geäußert hatte. Er selbst nahm bestimmt einige dieser Manuskripte mit nachhause – und dort wurde er eines Tages tot aufgefunden – auch so ein Hagestolz wie du. Da lief dann in meiner Phantasie ab: Was, wenn man einige Leibniz-Manuskripte später in einer Privatbibliothek à la J.P. Morgan auffinden würde, die bereits jede Menge Schätze an Originalschriften und –noten beherbergt, die dort nicht hingehören.“

Gottfried Wilhelm: „Ja Madame, auch ich hätte gern mit Ihnen parliert und Ihnen gewisse Türen zur Anerkennung öffnen können, zum Beispiel für Ihre Interventionen an geeigneter Stelle gegen Deutschlands Teilnahme am Irak-Krieg. Chapeau. Und pardon, sagten Sie Leibniz-Kirche?"

Ingeburg: „Eine treffende Kurzbezeichnung von mir, die geldgierigen Monarchen jedoch bestehen auf dem langen Namen Hof- und Stadtkirche, obwohl wir doch längst Republik sind."

Gottfried Wilhelm:  „Meine Gedanken, Anregungen und Erfindungen sind nicht tot. Es wissen nur zu wenige, dass sie von mir sind. Ohne meine Erfindungen wäre die Hannover-Messe nicht das, was sie ist. Sie hätte Leibniz-Messe heißen müssen. Ohne meine Rechenmaschine gäbe es heute keine Computer, mein Tauchboot hätte man vorführen können, mein Schöpfwerk für die Wasserkünste. Für die Tabak- und Salzsteuer hätten sich Delegationen der Regierungen bedanken müssen. Auch für die Idee der Sozialversicherung und der Gesundheitsfürsorge. Aber ich will mit den Deutschen und Hannoveranern nichts mehr zu tun haben. Mögen sie bei meinem Namen ruhig weiter an Kekse denken.“

Ingeburg: „Mir geht es genauso, lieber Leibniz. Nur um die unzähligen hochbegabten und unterdrückten Frauen ist es mir besonders am Internationalen Frauentag schade."

Gottfried Wilhelm:" Ah, diese Schmerzen in den Beinen. Erst gestern Abend habe ich mir wieder Löschpapier auf die offenen Stellen gelegt.
Ich empfehle mich. Ich brauche Ruhe. Bonne nuit! "


Unter Verwendung einiger Informationen aus einem szenischen Leibniz-Monolog von Gerd-Rainer Prothmann




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