Gedanken übers Sterben zum Fest der Geburt
Von Ingeburg Peters
„Was kommt, das geht auch wieder“, kommentierte soeben ein
Nachbar seine Schulterschmerzen. Warum tun sich immer mehr Menschen so schwer
mit dieser profunden Volksweisheit? Die Schmerzmittelindustrie boomt, „Sterbehilfe“-Leistungen schießen wie Pilze
aus dem Boden. Sogar Domian, der in seiner jetzt beendeten Nachtsendung die
furchtbarsten Berichte verkraften musste, will mittels Sterbehilfe „in Würde“
sterben. Dabei brauchte er doch nur in solche Gegenden wie Aleppo reisen, und
er hätte die Kugel gratis. Auch Versicherungen machen sich die Sterbeangst zunutze und
bieten Leistungen an. Eine Dame mit Knochenkrebs suchte sich ihren Sarg selbst
aus, auch die Farbe der Kissen darin; ich finde solche Lebensangst-Reaktionen makaber.
Anschließend ließ sie sich von Dignitas die Spritze geben, aber es klappte
nicht wie gewünscht, es gab dennoch einen Todeskampf. Da ist mir Barbara
Rüttings Aufruf zur ärztlichen Erlaubnis des Sterbefastens etwas sympathischer.
Wenn wir schmerzvoll gehen müssen, bietet uns der eigene
Körper Betäubungsstoffe. Und warum soll man überhaupt so möglichst leise
verschwinden, sediert im Altersheim, wo das Wort „Heim“ missbraucht wird, das
die deutsche Sprache mit Heimat und Geheimnis zusammen sieht. Der Dichter Rainer Maria Rilke beschrieb im Malte Laurids
Brigge eingehend literarisch das tosende Sterben eines Gutsherrn, dessen
Brüllen kilometerweit zu hören war, wie es sich für einen Mann seines Standes
gehörte. So wusste jeder Bescheid. Auch der ehemalige Leiter der Hautklinik
Hannover, Professor Sandor Marghescu, hat Ende letzten Jahres in seiner Heimat
Ungarn ein schmerzvolles, lange währendes Sterben erlebt. Manchmal bringt so
etwas die mitleidenden Angehörigen selbst an den Rand des Lebens. Aber es kann auch eine Initiation bedeuten. Meine zwei
Schwestern und ich schliefen neben dem Sterbebett unserer Mutter im Krankenhaus
Siloah (die vierte erreichten wir am anderen Ende der Welt leider nicht
rechtzeitig). Ich hatte dem Totenbuch der Tibeter einige Riten entlehnt und
lobte wahrheitsgemäß die Sterbende als wunderbare, gastfreundliche Hausfrau. Eine
Schwester sagte, das habe sich im Gesicht der Mutter widergespiegelt. Die Enkeltochter
hatte zuvor ein Flötenstück für ihre Großmutter gespielt. In der Nacht wurde es plötzlich totenstill. Und über den Wäldern und Feldern spürest Du keinen Hauch. Warte nur, balde ruhest du auch. Die Schwester mit dem Beruf Pastorin gab der Mutter ihren
Segen. Sollte ich nochmal einem Sterben beiwohnen, schreie ich dem
oder der Toten noch ins Ohr „Du bist jetzt tot“, da die Tibeter das Ohr als am letzten
„abschaltenden“ Kanal zum Leben auffassen. Das Sterben der Mutter unterstützen zu dürfen, gehörte zu
unseren glücklichsten Erlebnissen, ähnlich denen, die man bei der Geburt eines
Kindes hat. Wovor die meisten Menschen in Wirklichkeit Angst haben, ist,
allein zu leben und einsam zu sterben. Wegen der Angst, dass nicht einer von
den 2000 Facebook-Freunden da sein wird, wenn man ihn braucht. Nur deshalb blüht die kommerzielle Sterbehilfe derartig
rasant auf. Spenden Sie zu Weihnachten, dem Fest der Geburt, ans www.hospiz-luise.de,
damit die dort etwas Leckeres backen können, und die Patienten leben noch
einmal auf und sagen: „Das riecht so gut, ich probiere mal.“ Sparda Bank, Lions
Club und Bürgerstiftung Hannover haben es schon getan.
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