Dienstag, 20. Dezember 2016

Kommen und gehen…


Gedanken übers Sterben zum Fest der Geburt

Von Ingeburg Peters

„Was kommt, das geht auch wieder“, kommentierte soeben ein Nachbar seine Schulterschmerzen. Warum tun sich immer mehr Menschen so schwer mit dieser profunden Volksweisheit? Die Schmerzmittelindustrie boomt,  „Sterbehilfe“-Leistungen schießen wie Pilze aus dem Boden. Sogar Domian, der in seiner jetzt beendeten Nachtsendung die furchtbarsten Berichte verkraften musste, will mittels Sterbehilfe „in Würde“ sterben. Dabei brauchte er doch nur in solche Gegenden wie Aleppo reisen, und er hätte die Kugel gratis. Auch Versicherungen machen sich die Sterbeangst zunutze und bieten Leistungen an. Eine Dame mit Knochenkrebs suchte sich ihren Sarg selbst aus, auch die Farbe der Kissen darin; ich finde solche Lebensangst-Reaktionen makaber. Anschließend ließ sie sich von Dignitas die Spritze geben, aber es klappte nicht wie gewünscht, es gab dennoch einen Todeskampf. Da ist mir Barbara Rüttings Aufruf zur ärztlichen Erlaubnis des Sterbefastens etwas sympathischer. Wenn wir schmerzvoll gehen müssen, bietet uns der eigene Körper Betäubungsstoffe. Und warum soll man überhaupt so möglichst leise verschwinden, sediert im Altersheim, wo das Wort „Heim“ missbraucht wird, das die deutsche Sprache mit Heimat und Geheimnis zusammen sieht. Der Dichter Rainer Maria Rilke beschrieb im Malte Laurids Brigge eingehend literarisch das tosende Sterben eines Gutsherrn, dessen Brüllen kilometerweit zu hören war, wie es sich für einen Mann seines Standes gehörte. So wusste jeder Bescheid. Auch der ehemalige Leiter der Hautklinik Hannover, Professor Sandor Marghescu, hat Ende letzten Jahres in seiner Heimat Ungarn ein schmerzvolles, lange währendes Sterben erlebt. Manchmal bringt so etwas die mitleidenden Angehörigen selbst an den Rand des Lebens. Aber es kann auch eine Initiation bedeuten. Meine zwei Schwestern und ich schliefen neben dem Sterbebett unserer Mutter im Krankenhaus Siloah (die vierte erreichten wir am anderen Ende der Welt leider nicht rechtzeitig). Ich hatte dem Totenbuch der Tibeter einige Riten entlehnt und lobte wahrheitsgemäß die Sterbende als wunderbare, gastfreundliche Hausfrau. Eine Schwester sagte, das habe sich im Gesicht der Mutter widergespiegelt. Die Enkeltochter hatte zuvor ein Flötenstück für ihre Großmutter gespielt. In der Nacht wurde es plötzlich totenstill. Und über den Wäldern und Feldern spürest Du keinen Hauch. Warte nur, balde ruhest du auch. Die Schwester mit dem Beruf Pastorin gab der Mutter ihren Segen. Sollte ich nochmal einem Sterben beiwohnen, schreie ich dem oder der Toten noch ins Ohr „Du bist jetzt tot“, da die Tibeter das Ohr als am letzten „abschaltenden“ Kanal zum Leben auffassen. Das Sterben der Mutter unterstützen zu dürfen, gehörte zu unseren glücklichsten Erlebnissen, ähnlich denen, die man bei der Geburt eines Kindes hat. Wovor die meisten Menschen in Wirklichkeit Angst haben, ist, allein zu leben und einsam zu sterben. Wegen der Angst, dass nicht einer von den 2000 Facebook-Freunden da sein wird, wenn man ihn braucht. Nur deshalb blüht die kommerzielle Sterbehilfe derartig rasant auf. Spenden Sie zu Weihnachten, dem Fest der Geburt, ans  www.hospiz-luise.de, damit die dort etwas Leckeres backen können, und die Patienten leben noch einmal auf und sagen: „Das riecht so gut, ich probiere mal.“  Sparda Bank, Lions Club und Bürgerstiftung Hannover haben es schon getan.


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