Mittwoch, 14. Mai 2014

Es darf kein „Supergrundrecht auf ungestörte Investitionsausübung“ geben

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 14.05.2014, TOP 3 d): Aktuelle Stunde

Rede der Niedersächsischen Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz

Kulturförderung, Atomausstieg, Chlorhühner - TTIP & Co gefährden durch private Schiedsgerichte demokratische Entscheidungen (Drs. 17/1514)
(Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen)


Die Landesregierung teilt die Bedenken, die die antragstellende Fraktion dazu bewogen haben, das geplante transatlantische Freihandelsabkommen zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde zu machen. 
Dass diese Verhandlungen weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, nährt die Skepsis vieler Menschen gegenüber Europa als Institution und spielt Populisten in die Hände. 
Ich möchte als Justizministerin des Landes Niedersachsen die Teile des geplanten Freihandelsabkommens ansprechen, die den sogenannten Investitionsschutz betreffen. Diese Regelungen sollen bei Streitigkeiten zwischen privaten Investoren und Staaten gelten. Die Unternehmen erhalten das Recht, einen Staat vor einem privaten Gericht, einem Schiedsgericht, auf Schadensersatz zu verklagen, etwa weil neue Gesetze die Rahmenbedingungen für die Unternehmen ändern und weniger Gewinn in Aussicht steht. 
Ein Klagerecht der Staaten, beispielsweise weil die Investoren die Menschenrechte missachten oder die Umwelt verpesten, gewähren die Regelungen hingegen nicht.
Eine Einbahnstraße in die falsche Richtung! 
Solche Schiedsverfahren sind keine neue Erfindung. Sie wurden vor allem dann in völkerrechtliche Verträge aufgenommen, wenn die Investitionen etwa aufgrund hoher Korruption gefährdet waren, wenn es sich um Staaten handelte, die effektiven Rechtsschutz nicht gewähren können. 
Mögen derartige Streitbeilegungsmechanismen in früherer Zeit im Verhältnis zu Entwicklungsländern ihre Berechtigung gehabt haben. In einem Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika haben sie aber nichts zu suchen!
Die Mitgliedstaaten der EU und die USA verfügen über feste rechtsstaatliche Strukturen und ein funktionierendes Justizsystem. Ein besonderes Klageprivileg für Konzerne und andere Investoren ist daher völlig abwegig! In- und ausländische Investoren müssen -  wie alle Bürgerinnen und Bürger - Rechtsschutz vor den nationalen staatlichen Gerichten suchen. 
Der Rechtsstaat lebt vom Vertrauen der Bürger. Er braucht die Legitimation durch die Bürger. Gerade aus diesem Grund sorgen wir in Niedersachsen mit großer Unterstützung der Gerichte und Staatsanwaltschaften dafür, dass Richterwahlausschüsse eingeführt werden, um die Legitimation der Gerichte noch mehr zu stärken. Da wirkt es wie ein Hohn, wenn Entscheidungen dieser Gerichte durch private Schiedsgerichte - ohne jegliche demokratische Legitimation - ausgehebelt werden könnten. 
Die Investitionsschutzvorschriften in den Freihandelsabkommen bergen aber nicht nur eine Gefahr für den Rechtsstaat, sondern auch für die parlamentarische Demokratie. Denn wenn der Niedersächsische Landtag  beim Erlass von Vorschriften zum Schutz von Arbeitnehmern, Umwelt oder Verbrauchern, befürchten muss, mit dem Landeshaushalt für verschwundene Gewinnaussichten von Konzernen geradezustehen, fallen für richtig und notwendig gehaltene Entscheidungen schwer. Es entsteht eine vorweggenommene Erpressungssituation und die Gefahr, notwendige gesetzliche Änderungen zum Schutz der Bürger abzuschwächen oder ganz auf sie zu verzichten. 
Dass dies kein unrealistisches Szenario ist, erleben wir heute am Beispiel des Atomausstiegs. Hier wird die Bundesrepublik vor einem privaten Schiedsgericht vom Vattenfall Konzern auf Schadensersatz in Milliardenhöhe verklagt. Erst diese Woche boten die EVU der Bundesregierung eine Stiftung zum Abriss von Kraftwerken und Endlagerung von radioaktivem Müll an. Im Gegenzug stand der Verzicht auf die Klagen im Raum. 

Es darf kein „Supergrundrecht auf ungestörte Investitionsausübung“ geben, wie es vor wenigen Tagen in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass der Rechtsschutz in den Händen des Rechtsstaates und politische Entscheidungen in den Händen der Parlamente bleiben!


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