Sonntag, 15. November 2020

Mein Haus ist meine Haut

 

Beispiel aus meinem Klagemauer-Kunstprojekt der verschwundenen hannoverschen Firmen, inbesondere über den Niedergang des technischen Kaufhauses Brinkmann, mit dem ich beste Kontakte pflegte. Ip

Als die Schriftstellerin sah, dass es außer „ihrer Rose“ noch viele tausend andere gab, dachte sie an all die Stunden der Zuwendung, die sie miteinander geteilt hatten. Diese waren es, die ihre Rose einzigartig machten.

Ebenso verhält es sich mit meinem Haus:

Tragende Wände entfernt und neue Träger eingezogen; Fenster zur Südseite eingebaut; Toiletten; Duschen; Heizung; Hannoversche Türen; Holzböden abgeschliffen; Dachfenster repariert; Steckdosen gelegt; Fliesen angebracht, Bildergalerie im Treppenhaus eingerichtet, Ginkgo im Gaertchen gepflanzt.

Einiges davon wurde teilweise im Ramadan ausgeführt, als sich die Handwerker die Füße im neuen Waschbecken wuschen und dann zum Gebet zu Boden sanken.

Beim Talente-Tauschring sollte ein Einbau 80 Talente kosten, leider wurden dabei meine Talente ums Hundertfache überschritten.

Verrechnungsgeschäfte habe ich für Fenster-Lamellenvorhänge und –bänke getätigt:  

Von Möbel-Wilhelm, RZ-Möbel und anderen kamen unverkäufliche Reststücke, der Gong im Treppenhaus vom Fair-trade-Laden, von Hupe die Kunststofftüren, den Feldjägern Bothfeld klappbare Eisenbetten, vom Trödel der lange Refektoriumstisch. 

Das Klavier von Chorleiterin Susanne Behr, die Küche von Staude (dort Rita Pawelskis beim Kochen angeschlagene Fingernägel fotografiert), der gemütliche Ohrensessel von Sensationsjournalist Ehrenfried Pospisiel.

Fast über jeden Nagel in der Wand gibt es eine amüsante Story.

Und weitere Geschichten kann dieses Haus erzählen:

Flamenco-Party von Tierra, Dichterlesungen mit Bernhard Taureck, Deniz Utlu und mir, Stimmbildungsseminare des Peter Missler, Ostfriesische Teestunde auf dem Dachboden mit Knueppeltorte und Prof. Siegfried Neuenhausen, Autorin Dr. Claudia Toll, Malerin Lucia Steigerwald, Architektenkammer u.v.a.m., JournalistinnenFeten mit ver.di und illustren Gästen, Diskussionsrunden mit Wienke Zitzlaff von der SapphoStiftung und PoetrySlammerin Marlene Stamerjohanns, Feministin Lilo Zack (Musiktheater Doppelaxt) usw.. 

Thingplaetze für Verwandte und Verschwaegerte sowie Schüler*innen-Gruppen aller Altersstufen, Baenkelgesang mit Buchhaendler Peter Sutor, Tafelgruenderin Rosemarie Wallbrecht, Prof. Heide Tegeder u. a., Bauchtanzabende mit Bildhauerin Ulrike Enders und Malerin Elke Lixfeld, im 1.Stock Veteranentreffen der Pogo-Punk-Partei, ACDC-Fans und Eminem- Verehrerinnen; meine Initiative "ZweiteGlockseeschule"-Versammlungen mit Studienraetin Elisabeth C. Gruendler, Mauricio Wild in Begleitung eines Indianers aus Ecuador, sowie dem Inhaber von Radgeber, Dietrich Sudikatis; Kinderfasching mit der gesamten Nachbarschaft und Freund*innen-Sprösslingen, Kinderladenelternabende, Tauschringtreffen, Großbürgerliche Riesenweihnachtsbäume und Feste mit Familie oder auch Geschaeftsfreund*innnen, vor allem aber mein Zeitungmachen ohne Ende, sowie Kommunikation mit Menschen aus aller Welt, direkt oder per Internet.

Dieses Haus, das ich be-sitze, auf dem ich be-stehe, ist kein Rendite-Objekt. Es ist meine Heimat und Haut. Neulich stand dennoch wieder der altbekannte Polizeispitzel im Hof und fotografierte meine Liegen-schaft ... 

Auch andere ähnlich ambitionierte Hausbesitzerinnen werden derzeit von Immobilienhaien und Politik massiv bedrängt, oder wenigstens zum Vermieten gedrängt, obwohl sie gar keine richtigen „Vermieter“ sind, solche, die zig Mietshäuser ausbeuten und nicht selten vergammeln lassen, weil „nur“ Studenten oder Sozialmieter darin wohnen.

Die Gewinne der Hedgefonds wollen in festem GrundundBoden-Gold angelegt sein, auch in Norddeutschem Backstein oder historischen Lavesbauten zum Beispiel.

Manch Reicher kauft und verkauft zwar relativ locker und ohne Emotionen seine Häuser; die Armen aber, wo beispielsweise Opa das Gartentor noch selbst kunstvoll geschmiedet hatte, den Kirschbaum vorm Fenster gepflanzt, sehen den Verlust ihrer persönlichen Freiheit durch den gierigen Kapitalismus wie ein Gespenst vor sich.

So als müssten sie demnächst ihre Bekleidung vermieten, oder sich gar die Haut abziehen lassen.

Ingeburg Peters


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