Mittwoch, 18. November 2015

Arbeit. Armut. Würde. Für eine Zukunft ohne Zumutungen!


Etwa 1,2 Millionen Menschen in Niedersachsen haben heute ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle. Die Armutsgefährdungsquote lag laut Landesamt für Statistik Niedersachsen (LSN) im Jahr 2014 bei 15,3 Prozent. Damit ist fast jeder sechste Niedersachse von Armut betroffen. Für einen Einpersonenhaushalt lag die Schwelle zur Armutsgefährdung in Niedersachsen bei 907 Euro, für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahre bei 1.905 Euro. 
Dieser Zustand ist ein gesellschaftlicher Skandal. Er darf nicht andauern. Aktuell erhält jedoch die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich durch die Flüchtlingssituation zusätzliche Brisanz. Brandanschläge und offene Gewalt von Rechtsextremen vor Flüchtlingsunterkünften belegen: Sozial benachteiligte Gruppe können gegeneinander ausgespielt werden und dieser Konflikt wird auf dem Rücken der Schwächsten, von Flüchtlingen, ausgetragen. Diese Konflikte sind nur dann zu lösen, wenn Armut nachhaltig bekämpft wird. Wir fordern deshalb konkrete Verbesserungen für Gruppen mit besonders hohem Armutsrisiko: ·     Erschreckend ist die Lage der Arbeitslosen. Ihre Armutsgefährdung stieg von 50 auf 58 Prozent, mehr als jeder zweite Arbeitslose lebt also in Armut. Niedersachsen braucht daher einen öffentlichen Beschäftigungssektor („sozialer Arbeitsmarkt“) für Langzeitarbeitslose mit fairen Bedingungen. Langzeitarbeitslose sollten bei Kommunen und Wohlfahrtsverbänden auf freiwilliger Basis zu regulären, tariflichen Bedingungen beschäftigt werden. Damit wäre ein doppelter Nutzen verbunden: Zum einen der individuelle Nutzen der Förderung, der in der Teilhabe an Erwerbsarbeit und dem Ausbau der Arbeitsfähigkeit der Geförderten besteht und zum anderen der gesellschaftliche Nutzen, welcher durch zusätzliche, aber gesellschaftlich relevante Waren- und Dienstleistungsproduktion gekennzeichnet ist. Diese Beschäftigung muss allerdings zusätzlich und im öffentlichen Interesse sein, d.h. sie darf reguläre Beschäftigung nicht verdrängen. ·      Ebenfalls stark von Armut betroffen sind Alleinerziehende: Haushalte mit einem Erwachsenen und einem Kind haben eine Gefährdungsquote von 43 Prozent. Um die Situation zu verbessern, braucht es bessere Arbeitsbedingungen für Alleinerziehende, bessere Möglichkeiten zu Kinderbetreuung, aber auch mehr staatliche finanzielle Hilfe für allein erziehende Eltern. Erwerbstätige Eltern müssen außerdem einen staatlich finanzierten Lohnzuschlag für den Mehrbedarf durch ihre Kinder erhalten. ·      Dramatisch ist auch die Lage der Geringqualifizierten. Jeder Dritte von ihnen ist arm. Für Geringqualifizierte sind die Chancen, einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu bekommen, schlecht. Viele landen in der Arbeitslosigkeit oder müssen niedrige Löhne akzeptieren. Der Mindestlohn leistet zwar seit Jahresbeginn einen Beitrag, Lohndumping einzudämmen, dieser reicht aber nicht aus, um wirkliche Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum zu gewährleisten. Der Mindestlohn muss perspektivisch so gestaltet werden, dass er nicht in die Altersarmut führt. Um die Armutsgefährdung zu senken, muss die Politik aber auch den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen stoppen. Außerdem brauchen wir dringend eine größere Tarifbindung der Unternehmen. Tarifverträge sind ein Schlüssel für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen auch für Geringqualifizierte. ·      Es fehlt in vielen Regionen an gutem und bezahlbarem Wohnraum für alle Menschen in Niedersachsen. Der soziale Wohnungsbau muss entgegen dem Trend der letzten Jahre wieder deutlich ausgeweitet werden, um eine flächendeckende Wohnungsnot zu verhindern. Hier muss das Land auch direkt als Bauträger aktiv werden, wie das in Österreich der Fall ist. Dort setzt man die staatlichen Zuschüsse direkt zur Baufinanzierung ein, verzichtet auf teure Bankkredite und stellt die Projekte unter Gemeinnützigkeit. Die Wohnobjekte tragen sich also dank der niedrigen Kosten und dem Verzicht auf eine angestrebte Kapitalrendite selbst, daher kann die Miete viel geringer ausfallen. Außerdem muss das Programm „Soziale Stadt“ erheblich ausgeweitet werden. Diese großen Aufgaben zur Bekämpfung der Armut müssen gemeinsam mit der neuen Aufgabe, die Flüchtlinge zu versorgen und zu integrieren, gemeistert werden. Die Haushaltslage von Bund und Land bietet genügend Spielraum für erhebliche Mehrausgaben, wenn Schuldenabbau nicht zum Selbstzweck erhoben wird. Sowohl Mehrausgaben für Flüchtlingshilfe als auch für Bildung und Sozialpolitik sind möglich. Rechtlich gibt es hierbei kein Hindernis: auf Landesebene gilt die Schuldenbremse erst ab 2020. Auf Bundesebene sieht das Grundgesetz ausdrücklich Ausnahmen von der Schuldenbremse für außer-gewöhnliche Situationen vor. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, zusätzliche Mittel einzusetzen, um Armut zu vermindern und mehr Menschen in die Gesellschaft zu integrieren. Die Unterzeichner: Landesarmutskonferenz Niedersachsen+Caritas in Niedersachsen+ DGB Niedersachsen + Diakonie in Niedersachsen + GEW Hannover+SoVD Niedersachsen +  ver.di Niedersachsen-Bremen



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